Samstag, 6. Juli 2019

Digitaler Elternkompass


Wir sind hier im Ferienmodus. Wir bleiben lange wach, schlafen lange und den ganzen Tag ist Faulenzen und ein bisschen Familientrubel angesagt. Deshalb habe ich nur selten Zeit, hier etwas zu schreiben. Diesen Text habe ich über mehrere Tage verteilt fertig gestellt, denn ich möchte über das wichtige Thema unbedingt berichten.

Mitte Juni habe ich die Veranstaltung #blogfamiliär besucht. Die kleine Schwester der jährlichen Elternbloggerkonferenz Blogfamilia findet übers Jahr verteilt in kleinerem Rahmen in wechselnden Städten statt. Diesmal also Hamburg. Das wollte ich mir nicht entgehen lassen. Zum einen, weil ich dann wieder die Möglichkeit hatte, bekannte und unbekannte Gesichter zu treffen. Zum anderen, um mich einzunorden, was mein Elternwissen zu den digitalen Medien betrifft. Der Elternkompass sollte mir dabei helfen.

Bei meinem Großen war das mit den Medien noch relativ einfach. 1998 geboren, wuchs er in den frühen Jahren mit Kassetten, Schallplatten, Videos und dem KIKA auf. Fertig. Internet hatten wir erst, als er um die acht Jahre alt war. Das Internet damals war langsam, teuer und wurde selten eingeschaltet. Handys waren noch ohne Internetzugriff. Es dauerte noch eine ganze Weile bis er als Teenager, wie seine Freunde, einen Facebook-Account haben wollte und anfing, online Computerspiele zu spielen. Facebook war ziemlich schnell wieder uninteressant. Die Spiele waren schon interessanter, aber mit Absprachen klappte es ganz gut.

Meine vier jüngeren Kinder wachsen nun ganz selbstverständlich mit digitalen Medien auf. Hörspiele kommen von einer Playlist, Kinderfilme sind auf Abruf rund um die Uhr verfügbar, Tablets sind ganz normale Gerätschaften im Kinderzimmer. Schon in der Grundschule lernen die Kinder, selbst im Internet zu recherchieren. Das Mutzelchen hat, seit sie auf die weiterführende Schule geht, ein Handy und kommuniziert darüber über Telegram nachmittags mit ihren Freundinnen. Der kleine Bruder äußerte nun erstmals den Wunsch nach einem eigenen Handy.

Vielleicht dauert es nicht mehr lange und die Kinder wollen einen Instagram-Account oder ein Facebook-Profil haben. Klingt besorgniserregend? Zuvor sollte man doch mal überlegen, wovor die meisten Eltern in Bezug auf digitale Medien Angst haben.

Katja Seide, Autorin der sehr empfehlenswerten Bücher mit den schönen langen Namen "Mein gewünschtestes Wunschkind treibt mich in den Wahnsinn: Der entspannte Weg durch Trotzphasen" und "Mein gewünschtestes Wunschkind treibt mich in den Wahnsinn: Gelassen durch die Jahre 5-10" (beides Amazon-Partner-Links) hielt dazu auf der #blogfamiliär einen interessanten und erfrischenden Vortrag.

Die meisten Eltern haben tatsächlich Angst davor, dass das Kind abhängig von der Spielekonsole oder dem Handy wird. Sie befürchten Streit in der Familie und Kontrollverlust, sie befürchten, das Kind vernachlässigt Schule und Freundinnen oder Freunde und igelt sich infolgedessen noch mehr ein und sitzt dann noch öfter vor den Geräten. Und *zack* ist (überspitzt gesagt) die Zukunft des Kindes ist versaut.

Die Angst kommt nicht von ungefähr. Viele Eltern fühlen sich ohnmächtig, wenn sie sehen, wie ihr Kind von den digitalen Medien magisch angezogen wird.

Sehr viele Eltern haben schon die Erfahrung gemacht, dass das Kind aggressiv reagiert, wenn es das Tablet oder den Fernseher ausschalten soll. Das kommt daher, dass (aggressive) Impulse im menschlichen Gehirn durch eine "Kontrollschleife", den präfrontalen Cortex, geschickt werden. Dort wird entschieden, wie stark man einem Impuls nachgehen sollte. Von Kleinkindern kennen wir das: Impulsen wird sofort und ungefiltert nachgegangen. Die Kontrollschleife muss erst noch trainiert werden.

Bei Müdigkeit, unter Alkoholeinfluss und nach längerer Bildschirmzeit geht die Kontrollschleife in den Ruhemodus, Impulse werden nicht mehr mäßigend gesteuert. Kinder können dann sehr wütend werden, hauen oder schreien. Dann hilft es allerdings nicht, zu schimpfen. Wir sollten abwarten und dann miteinander reden.

Natürlich haben Eltern die Pflicht, ihr Kind vor schädlichen Einflüssen zu schützen. Aber Regeln aufzustellen, nur weil wir als Erwachsene Angst haben, ist keine gute Idee. Es liegt an uns Eltern, Regelungen in der Familie zu treffen, die für alle Familienmitglieder passen. Deshalb müssen wir genau hinsehen: Was genau tut das Kind da? Vielleicht trainiert es eine neue Fähigkeit? Vielleicht lernt es gerade etwas? Wieviel Zeit verbringt das Kind denn wirklich am Computer oder mit Freundinnen und Freunden oder in der Natur?

Ah, gerade habe ich auf der Blogfamilia-Seite Auszüge des Vortrags entdeckt. Danke Katja! Ihre Bücher wachsen immer mit ihren eigenen Kindern mit. Deshalb dürfen wir sicher bald das Buch "Das gewünschteste Wunschkind treibt mich in den Wahnsinn: Chill mal, sagt mein Teenie" erwarten ;-)

Einen vernünftigen Umgang mit den digitalen Medien erreicht man also nur, wenn man sich mit den Dingen beschäftigt, die die Kinder interessiert. Da sind wir als Eltern, ob wir es wollen, oder nicht, gefordert. Vor der Geburt eines Kindes besuchen wir Eltern doch auch einen Geburtsvorbereitungskurs, um uns zu informieren, oder?!

Zugegeben war ich anfangs skeptisch, als ich hörte, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Facebook, Instagram und der Telekom auf der Veranstaltung Vorträge halten sollten. Aber es stellte sich heraus, dass ich sachliche Informationen und ganz praktische Tipps erhalten sollte. Außerdem finde ich es eigentlich logisch, dass Unternehmen, die so eine große Rolle in unserer aller Leben spielen, Verantwortung übernehmen und uns Werkzeuge zur sinnvollen Nutzung an die Hand geben.

Wusstest Du, dass es z.B. bei Facebook einen Sicherheitsbereich gibt, der auch ein Elternportal enthält? Ich wusste das nicht und finde die Tipps dort sehr hilfreich, z.B. wie ich mein Kind vor Mobbing in diesem Portal schützen kann oder was ich tun kann, wenn es schon passiert ist. Und auch Instagram hält einen sehr umfangreichen Instagram-Leitfaden für Eltern bereit. Es lohnt sich, sich dort einmal umzuschauen. Schön finde ich z.B. die zehn Fragen, um eine Unterhaltung mit Teenagern über Instagram zu beginnen. Constanze Osei Becker von Facebook, die an dem Abend auch einen Vortrag gehalten hat, hat hier auf der Seite der Blogfamilia ein Interview gegeben.

Noch einen sehr informativen Vortrag hat Thomas Schmidt von der Initiative Teachtoday der Telekom gehalten. Diese mehrfach prämierte Initiative setzt sich für Kinder und Jugendliche ein, um ihnen einen sicheren Umgang mit Medien zu vermitteln. Anhand von ansprechenden Projekten können Kinder und Jugendliche z.B. ihr Verhalten im Netz reflektieren und spielerisch einüben. Es gibt auf der Seite Medienkompetenztests und Themendossiers zu wichtigen Themen. Teachtoday ist für Kinder und Jugendliche, aber auch für Eltern und für pädagogische Fachkräfte sehr hilfreich.

Im Vortrag erfuhren wir etwas zum Nutzungsverhalten der digitalen Medien von Kindern und Jugendlichen. Dafür bräuchten die Kinder und Jugendlichen Medienkompetenz, also die Fähigkeit, in bestimmten Situationen kreativ und selbstorganisiert mit der Situation und ihren Grenzen und Möglichkeiten umzugehen. Dafür braucht man z.B. Kommunikationsfähigkeit, Kooperationsfähigkeit, Kreativität und Beurteilungsvermögen (hier näher erläutert von Das Kompetenzlabor, auch eine sehr sinnvolle Seite übrigens).

Kernpunkt auch dieses Vortrags: wir sollten mit Kindern über digitale Medien sprechen. Und zwar ehrlich, auf Augenhöhe, mit unterhaltsamen Inhalten und mit Emotionen verbunden. Wie eigentlich über jedes andere Thema auch. Teachtoday hat dafür ein unterhaltsames Medienmagazin namens Scroller herausgegeben, das man hier herunterladen oder als Druckausgabe bestellen kann.

Neulich meinte mein Großer zu mir "Mama, weißt du noch, als du mir Facebook nicht erlauben wolltest?" Das wusste ich tatsächlich nicht mehr. Damals wusste ich allerdings auch noch nichts von dem vielen Tipps für Eltern. Es gab sie auch noch nicht in dem Umfang wie heute. Ich fühlte mich hilflos und habe es deshalb vorsichtshalber abgelehnt. Heute können der Große und ich gemeinsam drüber lachen und es ist schön, dass wir darüber ins Gespräch kommen können. Er nutzt die digitalen Medien nun ganz selbstverständlich und sie sind ihm beim Studium und im anstehenden Berufsleben sehr hilfreich.

Also, falls Ihr mal eine #blogfamiliär-Veranstaltung in Eurer Nähe entdeckt, geht gerne hin. Manchmal gibt es auch Vorträge zu diesen Themen an Schulen oder in Elternzentren. Die digitalen Medien sind da und gehen nicht mehr weg. Es ist besser, wir haben keine Angst sondern Ahnung davon. Für uns und unsere Kinder.


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