Montag, 9. August 2021

Montagmorgen auf dem Wismarer Friedhof

Ein neuer Morgen. Eine neue Woche. Nachdem ich heute die Augustschnuppe in den Kindergarten gebracht habe, bin ich mit dem Fahrrad zum Wismarer Friedhof gefahren.

Schon zwei Mal war ich dort auf Beerdigungen. Im Jahr 2000 wurde meine Uroma beerdigt, 2001 mein Opa. Und auch schon früher war ich öfters dort, immer dann, wenn mich meine Oma zur Grabpflege an Uropas Grab mitnahm. Den ganz genauen Ort, wo sie alle liegen, weiß ich nicht mehr. Die alten Gräber gibt es längst nicht mehr, die neuen wurden gleich anonym angelegt. 

Ich war heute Morgen, so weit ich sehen konnte, die einzige Besucherin. Irgendwo zwischen den Reihen waren Gartenarbeiter beschäftigt. Ich hörte Rasenmähergeräusche. Ich schloss mein Fahrrad an und spazierte los. Ich war gespannt, ob ich irgendeine Stelle wiedererkennen würde. 

Der Friedhof liegt südlich der Altstadt und wurde 1831 kirchlich geweiht. Der damalige Bürgermeister Haupt ließ den Friedhof auf dem ehemaligen Hinrichtungsort anlegen und reservierte sich gleich sein eigenes Grab an genau der Stelle, an der der Galgen stand. Nur vier Jahre später wurde er mit nur 35 Jahren dort beerdigt. 

Solche spannenden Geschichten kann man auf Infotafeln, die überall auf dem Friedhof zu finden sind, nachlesen. Als der parkähnliche Friedhof bepflanzt werden sollte, bat man die Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt, Sträucher und Bäume aus ihren Gärten zu spenden. 

Das Grab der Künstlerin Sella Hasse hat mich sehr beeindruckt. Sie liegt Seite an Seite mit ihrer Mutter und ihrer Tochter, die jung starb. Auf allen Namenstafeln an den Stelen mit den Gesichtern sind nicht nur Geburts- und Sterbedatum vermerkt, sondern sogar die dazugehörigen Uhrzeiten. 

Sella Hasse gehörte zu den bedeutendsten Künstlerinnen ihrer Zeit. Sie hatte engen Kontakt zu Käthe Kollwitz, lebte und arbeitete von 1910 bis 1930 in Wismar. Unter den Nazis galt ihre Kunst als entartet. Noch zu Lebzeiten bot sie der Stadt einen Teil ihrer Werke an, wenn dafür ihre Grabstelle, die nach ihren Entwürfen gefertigt wurde, gepflegt und erhalten werden würde. 

Es gibt noch mehr interessante Grabstellen, die immer mal wieder meinen Blick einfingen. Es war ein sehr schön sonniger Morgen heute. Ein frischer Wind pustete durch die hohen alten Bäume. Über den noch taunassen Gräsern schwirrten kleine Insekten in den schräg stehenden Sonnenstrahlen.

Ich hatte viel Zeit, um mich umzusehen. Ich ließ mich treiben und entdeckte immer wieder schöne Stellen. Der Friedhof liegt auf einer Anhöhe. Am südlichen Rand kann man weit ins Land und über einen großen See schauen. Der glitzerte heute Morgen und war so blau wie der Himmel.



Um die Mittelachse herum gruppieren sich halbkreisförmig die Grabfelder. Es gibt Erdgräber, Urnengräber, Einzel- und Gemeinschaftsgräber, mit Steinen oder anonym, und neuerdings sogar Grabstellen an Bäumen. 

Am Ende der langen Allee befindet sich die Trauerhalle. Dort sah ich damals vor den Beerdigungen die Verstorbenen hinter einer großen Glasscheibe. Wie in einem Schaufenster lagen sie dahinter wächsern in weißen Kissen in ihrem Sarg. Ich weiß nicht, ob das immernoch so gemacht wird. Für mich war das damals alles so nüchtern, ich habe nichts gefühlt dabei. 





Vom nördlichen Rand des Friedhofs aus konnte ich die Kirchtürme von Wismar und die Hafenkräne sehen. Ahhh, ein toller Blick! 

Ich dachte so vor mich hin, wie man es doch nur auf Friedhöfen tun kann. Über Beginn und Endlichkeit von allem. Über Liebe und Freundschaft und Trauer und Streit und Versöhnung. Über die Schlechtigkeit der Welt. Und die Dinge, die das Leben lebenswert machen.

Ich erinnerte mich an ein Lied, das gestern im Gottesdienst gesungen wurde. Ich summte es vor mich hin. Der Text hat sehr kraftvolle und tröstliche Bilder in mir entstehen lassen: "... There is another in the fire, standing next to me, there is another in the waters, holding back the seas, and should I ever need reminding, what power set me free, there is a grave that holds no body, and now that power lives in me..."

Ich ließ ein paar Tränen laufen und atmete dann wieder tief durch. Den Alltagskram hatte ich für eine Weile vergessen. Und das hat mir sehr gut getan. 









Ich danke für das Mitlesen und die Anteilnahme. Ich will denen, die es gerne möchten, die Möglichkeit geben, etwas in die virtuelle Kaffeekasse zu tun. Herzlichen Dank für die Anerkennung!



12 Kommentare:

  1. Was für schöne Bilder du mitgebracht hast. Die (alten) Friedhöfe mag ich auch sehr. Obwohl es mir selbst gefallen würde, unter einem Baum, vielleicht sogar im Friedwald bestattet zu werden, finde ich es doch auch sehr schade, dass Friedhöfe immer leerer und nichtssagender werden.
    Vor einigen Jahren war ich nach Ewigkeiten mal wieder auf dem Friedhof im Wedding, wo meine Uroma begraben ist (auch wenn es das Grab nicht mehr gibt, ist es ja doch noch ihr Platz). In meiner Kindheit war der Friedhof voller Grabstellen, Mausoleen, toller aller Steine und Skulpturen. Ein mystischer Ort für mich. (Und ja, auch mit Eichhörnchen ;o)
    Heute ist er fast leer. Ganz nüchtern wirkt er. Ich war schon vorgewarnt, bin aber doch traurig und erschrocken gewesen.
    Friedhöfe dokumentieren Leben und sind ein Stück Kultur.
    Danke für deinen Bericht.
    Claudiagruß

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    1. Danke! Ja, mir geht es auch so.

      Ich folge im Internet einem Team von Bestatterinnen und Bestattern, die haben viele gute Hintergrundinformationen zu den einzelnen Bestattungsarten.

      Das sind Julian von Thanatos und Sarah von den Sarggeschichten. Sehr informativ und frisch!

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    2. Danke für den Hinweis, ich hab da mal geschaut (und werde das gewiss nun öfter tun). Die Sarggeschichten kannte ich noch nicht.
      Der Prozess des Sterbens ist an sich wirklich spannend und faszinierend, wenn man ihn mit genügend Abstand betrachten kann.
      Es nimmt Ängste, tröstet zu wissen, wie natürlich auch dieser Teil des Lebens abläuft und wir können sowieso nicht tiefer fallen, als in Gottes Hand.
      Weit mehr als meinem eigenen Tod fürchte ich den meiner Liebsten...

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  2. Danke liebe Cordula, dass du dieses Thema aufgegriffen hast.
    Als kleines Mädchen ging auch ich mit meinem Vater zum Friedhof der dort die Gräber seiner Großeltern und Eltern pflegte.
    Das Grab meiner Urgroßeltern gibt es inzwischen nicht mehr. Auf dem Grab meiner Großeltern sind inzwischen auch meine Eltern beigesetzt worden. Es hat mir beim Tod meines Vaters -der zuerst von den Eltern verstorben ist- sehr geholfen, dass mir diese Grabstelle vertraut war. Inzwischen sind beide Eltern dort beigesetzt worden.
    Schon bevor meine Eltern starben hatte ich den Gedanken irgendwann sind Mama und Papa tot und ich weiß überhaupt nicht wie ich damit umgehen könnte. Damals wurde ein Abend in unserer Gemeinde angeboten zum Thema Tod Trauer und Sterben. Der Abend wurde geleitet von einer Trauer- und Sterbebegleiterin.
    Wie gut, dass ich dort war, denn im folgenden Jahr ist mein Vater verstorben - da hat mir das was ich dort gehört hatte sehr geholfen ihn loszulassen.
    Später habe ich eine Hospizausbildung gemacht. Gerne würden meine Schwester und ich uns auch auf der Familiengrabstätte beisetzen lassen. Das ist einmal nicht finanzierbar weil die Kosten bei uns explodiert sind zum anderen ist es mit sehr viel Pflege- Arbeit verbunden. Wer kann es sich leisten häufig einen Gärtner zu beauftragen für die Pflege von Gräbern?
    Der Hinweise auf die Internet -Seiten auf die du ab und zu schaust finde ich sehr gut. Dort werde ich auch ein wenig lesen.
    Tod und Sterben: ein großes, wichtiges Thema.

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    1. Danke für Deine Gedanken dazu!

      Die Beschäftigung mit diesen Themen beruhigt mich irgendwie. So wird ihnen der Schrecken genommen. Ich finde es schade, dass es so viele Tabus rund um Sterben und Tod gibt.

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  3. Das Thema packt mich auch immer mal an. Die Vorstellung in einem Sarg zu liegen ist für mich entsetzlich. Aber Friedhofe liebe ich irgendwie sehr. Die Stimmung und die Weltentrücktheit. Danke fürs Mitnehmen und für den Hinweis auf die Sarggeschichten. Liebe Grüße, Andrea

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    1. Danke für Deinen Kommentar!

      Bei mir ist es eher so, dass ich es ganz natürlich finde, dass mein Körper in die Erde gelegt wird. Ich finde die Vorstellung, verbrannt zu werden, nicht schön.

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  4. Hallo Carola,
    Danke für Deinen schönen Spaziergang über den Friedhof, ich habe mich auch mal auf der Wismar Seite umgesehen und fand das diesen dicken Hasen ;.)
    https://www.wismar.de/media/custom/2634_4840_1_t.PNG?1592991557
    Als Kind war ich oft mit meiner Tante auf dem Friedhof und habe Friedhöfe in guter Erinnerung mit Eichhörnchen und Wasserpumpen.
    eine sehr gute Ausstellung ist die "ein Koffer für die letzte Reise" sehr zu empfehlen.
    https://www.puetz-roth.de/ein-koffer-fuer-die-letzte-reise.aspx
    Liebe Grüße und weiterhin für Dich und Deine Familie alles Gute und viel Kraft von Cornelia

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    1. Jaaa, so einen Hasen habe ich auch gesehen. Und der war wirklich riesig! Er war leider zu schnell für ein Foto :-)

      Danke für den Tipp mit dem Koffer und viele Grüße zurück!

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  5. Ich gehe auch gerne auf Friedhöfe. Sie sind so friedvoll.
    Traurig find ich es ebenfalls, dass sich so viele Menschen eine eigene Grabstelle nicht mehr leisten können. Hier kommen immer mehr in Gemeinschaftsgräber, da geht nur Urne. Ich mag auch nicht verbrannt werden. Aber mir reicht Wiese, das find ich sogar schöner als so eine Grabstelle, die aufwändig gepflegt werden muss. Mein einer Opa ist so beerdigt worden, nur ein Stein mit Name und Geburts- und Sterbejahr ringsrum Wiese.
    Hier wollen immer mehr in den Friedwald, aber auch da geht nur Urne.
    LG von TAC

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    1. Danke für Deine Nachricht!

      Die Grabpflege gehörte zu einer Kultur, die heute nicht mehr geleistet werden kann. Wegen finanzieller Gründe oder aber weil die Familien oft nicht mehr an einem Ort bleiben.

      Dass es manchmal doch fehlt, sehe ich immer wieder auf den "anonymen" Wiesen, wo dann doch Vasen, Grabgestecke oder kleine Steine installiert werden.

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