Dienstag, 23. Juni 2020

Zu-Hause-Tagebuch Tag 100

Alle meine Einträge aus der Zeit der Corona-Krise sammle ich unter dem Label Zu-Hause-Tagebuch. Es lohnt sich, auch in ältere Beiträge reinzuschauen, da ich jedes Mal eine Menge interessanter Lese-Tipps für Groß oder auch Klein aus dem Internet zusammengetragen habe.

100 Tage sind seit dem 16. März vergangen. Hier ist der erste Eintrag vom Zu-Hause-Tagebuch. Das war der Tag, an dem bundesweit alle Kindergärten, Schulen, Spielplätze, Restaurants, Fitnessstudios, Museen, Kinos und die meisten Geschäfte geschlossen wurden. Seit diesem Tag sind alle Kinder zu Hause. Seit diesem Tag arbeitet der Liebste im Home-Office. Seit diesem Tag arbeite ich nicht mehr im Museumsdorf. Seit diesem Tag haben wir keine Freundinnen und Freunde mehr getroffen. Seit diesem Tag sind wir nicht mehr groß weggefahren. Das heißt, seit 15 Wochen sind wir alle mehr oder weniger gemeinsam zu Hause.




Zeit für ein (vorläufiges) Fazit. Ich habe mal meine Familie zu den vergangenen 100 Tagen interviewt:

Mutzelchen (12 Jahre alt, 7. Klasse):

Ich fand schön, dass meine Freundin und ich uns immer Briefe geschrieben haben. Schade fand ich, dass ich meine Freundinnen nicht mehr sehen konnte, die habe ich sehr vermisst. Zu Beginn der Sommerferien wollten eine Freundin und ich wieder eine Übernachtung in ihrem Baumhaus machen. Das muss in diesem Jahr leider ausfallen. Am Anfang fand ich Homeschooling ganz spannend, es war ganz neu und lief auch ganz gut an. Ich fand schwierig, dass ich auf Fragen nicht sofort eine Antwort bekommen habe. Die Lehrerinnen haben meist verzögert geantwortet. Man konnte sich halt nicht mündlich beteiligen sondern musste alle Aufgaben schriftlich einreichen. Der Austausch mit den anderen Schülerinnen hat mir sehr gefehlt. Ich sehe am Homeschooling keine großen Vorteile. Außer dass die neuen Medien jetzt mal ausprobiert wurden. Im neuen Schuljahr wird es wahrscheinlich so weitergehen. Wenn jetzt in den Ferien alle wegfahren, kann es sein, dass sich viele anstecken. Dass alle Geschwister zu Hause waren, fand ich schwierig zum Lernen. Schön fand ich, dass wir als Familie öfter Sachen in unserer Umgebung unternommen haben, also viel spazieren waren und uns Kuchen in Karlshöhe geholt haben. Schön fand ich, dass Mama öfters neue Rezepte ausprobiert hat.

Kleiner Bruder (11 Jahre alt, 5. Klasse):

Ich fand gut, dass wir trotzdem über unsere Schulwebside lernen konnten. Doof war, dass wenn man eine Frage hatte, die nicht sofort beantwortet werden konnte. Die Eltern wussten die Antwort vielleicht nicht. Und die Lehrer haben dann manchmal erst viel später geantwortet. Da habe ich dann schon andere Aufgaben gemacht und wusste manchmal gar nicht mehr, worauf sich die Antwort bezieht. Ich habe das Gefühl vermisst, dass die Lehrer mir gleich helfen können. Gut fand ich, dass wir ab und zu wieder in die Schule durften. Die Studienzeiten am Freitag fand ich gut. Da konnte ich mir aussuchen, welches der drei Hauptfächer ich an diesem Tag mache. Meine Freunde habe ich vermisst. Und die Schule generell auch. Ein bisschen. Hier zu Hause hat es gut geklappt fand ich. Genau so habe ich mir das auch vorgestellt. Wenn die Schule wieder anfängt, ist es bestimmt erstmal seltsam, weil man sich dann erstmal wieder umstellen muss. In den Ferien will ich mich vor allem ausruhen und reiten und schön viel baden.

Adventsjunge (7 Jahre alt, 1. Klasse):

Manches war gut. Manches war nicht so gut. Aber vor allem ist Corona nicht schön. An der Schule zu Hause fand ich eigentlich gar nichts gut. Ich mag mehr, in der Schule zu sein, weil da meine Freunde sind, mit denen ich in den Pausen spielen kann. Das Lernen zu Hause war okay, ich habe neue Buchstaben gelernt und in Mathe neue Zeichen für kleiner und größer. Die Lehrerinnen und Mama machen das gleich gut. Ich fand zu Hause nicht gut, dass ich mich mit meinem Bruder mehr gestritten habe. Sonst sind wir nicht so oft zusammen zu Hause, da haben wir nicht so viel Zeit zum Streiten. Gut fand ich unsere Ausflüge zur Wiese, zum Moor und nach Karlshöhe zum Kuchen abholen. Wenn die Schule wieder normal ist, freue ich mich am meisten darauf, keinen Abstand mehr halten zu müssen. Falls die Schule doch noch nicht wieder anfängt, wäre ich traurig. Aber wenn das so ist, halte ich das auch weiter durch. In den Ferien will ich mich vor allem ausruhen und draußen spielen.

Der Liebste:

Wir haben sehr schnell eine Lösung gefunden, dass jede Person einen vernünftigen Arbeitsplatz hatte und relativ ungestört arbeiten konnte. Die großen Kinder haben die Technik schnell begriffen. Homeoffice fand ich gut. Das ist ja auch eine Erkenntnis aus dieser Zeit, dass das auch für Führungskräfte sehr gut funktioniert. Ich würde das in Zukunft auch so beibehalten wollen, im Rahmen der Möglichkeiten, die mein Arbeitgeber mir bietet. Den direkten Kontakt und den Austausch zu den Kollegen habe ich allerdings vermisst. Und die Bewegung hat natürlich gefehlt. Hier zu Hause gibt es ja nicht so weite Wege. Praktisch im Homeoffice ist, dass man sich zwischendurch auch mal eine Auszeit nehmen kann und nach den Kindern schauen kann. Die Fahrwege sind entfallen. Ich konnte entspannter in den Tag starten. Und am Abend konnte ich entspannter in den Feierabend starten. Wir haben jeden Tag alle Mahlzeiten zusammen eingenommen, das fand ich sehr schön. Ich habe allerdings das Gefühl gehabt, dass erwartet wurde, dass ich hier zu Hause präsenter sein sollte und mich mehr einbringen sollte, weil ich ja da war. Wir haben zwar kleinere Ausflüge gemacht, haben aber viel in der direkten Umgebung unternommen. Das Meer fehlt mir. Ich freue mich schon auf den Urlaub.

Und ich:

Seit 100 Tagen bin ich die einzige Person, die alle Einkäufe für die ganze Familie tätigt. Noch nie war das Lastenrad wichtiger als in dieser Zeit. Das ist jetzt auch ein bisschen durch und muss mal in die Werkstatt. Ich bin die Einzige, die die Situation in den Supermärkten erlebt hat. So leere Regale habe ich noch nie in meinem Leben gesehen. Das hat mich am Anfang beunruhigt. Noch heute freue ich mich jedes Mal, wenn ich so banale Dinge wie Toilettenpapier, Mehl oder Hefe sehe. Ansonsten hat mir Shopping als Freizeitbeschäftigung nicht gefehlt.

Am Anfang stand die Sorge, die Kinder könnten sich zu Hause langweilen. Beschäftigungsangebote für Kinder ploppten überall auf. Wir haben davon fast nichts ausprobiert. Die Kinder hatten keine Langeweile. Das Homeschooling war von der Grundschule und dem Gymnasium sehr gut organisiert. Ich habe für einen täglichen festen Rhythmus gesorgt. Die Zeiten haben sich allerdings etwas nach hinten verschoben. Wir konnten länger schlafen. Ein genereller Schulbeginn um 9 Uhr würde uns allen sehr gut tun.

Alle Kinder im Blick zu behalten, fand ich sehr herausfordernd. An manchen Tagen habe ich vom Frühstück bis zum Mittagessen keine Sekunde gesessen, weil ich immer zwischen allen Kindern, Haushalt und essen kochen hin und her gelaufen bin. Dass alle Schulaufgaben immer pünktlich und vollständig abgegeben werden mussten, empfand ich persönlich als Druck. Zum Glück ging es den Kindern nicht ganz so. Allerdings musste ich sie öfter zum Durchhalten motivieren, besonders den Erstklässler.

Auf den Liebsten und seinen ruhigen Homeofficeplatz in unserem Schlafzimmer war ich mehr als einmal neidisch. Außerdem war es schon schwierig für mich, dass er zwar physisch anwesend war, aber dann doch nicht, weil er ja gearbeitet hat. Der leere Kalender war eigentlich ganz angenehm. Da brauchte ich gar nicht mehr reinschauen. Ich bin stolz auf mich, dass ich unseren Keller so schön entrümpelt habe und sogar die Sperrmüllabfuhr bestellt habe. Andere Dinge konnte ich auch über die Kleinanzeigen weiterverkaufen. Außerdem war die Renovierung des Jungszimmers eine sehr gute Idee.

Meine wöchentliche Aquafitnessstunde fehlt mir sehr. Im Fitnessstudio hatte ich ja gerade erst angefangen. Nun konnte ich so lange nicht hingehen. Dafür bin ich viel Fahrrad gefahren und auch öfter spazieren gegangen. Überhaupt fehlt mir Zeit für mich alleine, die ich sonst eben beim Sport oder auch mal im Kino verbracht habe. Auf mein Wochenende alleine in Lübeck freue ich mich außerordentlich!

Heute habe ich die Regenbögen aus den Fenstern entfernt, weil ich die Fenster endlich mal putzen wollte. Ich finde ein bisschen schade, dass aus dem anfänglichen Gefühl von "Wir schaffen das!" nun eher ein misstrauischeres Klima geworden ist. Viele Menschen wirken nach der langen Zeit etwas angespannt und mürbe. Ja, das Tragen von Mund-Nase-Masken und das Abstand halten nervt, kann doch aber nicht so schwer sein. Erschreckend fand ich die Offenlegung von Missständen in unserer Gesellschaft, wie z.B. die Zustände in den Fleischbetrieben. Die geöffneten Schulen sind keine Erleichterung für uns sondern haben mit ihren sehr unterschiedlichen Präsenzschultagen unseren Alltag ein bisschen unüberschaubarer gemacht. So richtig glücklich sind die Kinder damit auch nicht.

Der Zukunft sehen wir, sagen wir mal... sehr neutral entgegen. Wir wollen uns nicht zu viel Hoffnung machen, damit wir nicht enttäuscht werden. Das Virus ist nun in der Welt und geht so schnell nicht weg. Ich habe aus der Zeit mitgenommen, dass wir es als Familie auch längere Zeit ohne irgendwelche Ablenkungen miteinander aushalten. Jetzt könnten wir auch gut auf einer Hallig leben. Dass wir seit vielen Jahren im Sommer ausschließlich Urlaub an der Schlei machen und den Urlaub immer schon ein ganzes Jahr im Voraus buchen und dabei in einer Ferienwohnung wohnen, könnte in diesem Jahr ein großer Vorteil sein. Wie es aussieht, findet unser Urlaub auch statt. Wir werden weniger Ausflüge in touristische Gegenden machen und mehr in der Natur sein. Ich glaube, das wird sehr gut. Jetzt freue ich mich auf sechs Wochen gar keine Verpflichtungen, außer weiterhin täglich kochen. Aber da werde ich die Kinder mehr einspannen. Vielleicht starten wir ja eine Ferienkochschule. Auf alle Fälle werden wir noch mehr draußen sein. Danke fürs Mitlesen in den vergangenen 100 Tagen und natürlich geht es hier weiter!


Ich freue mich, dass meine regelmäßigen Tagebuch-Einträge so guten Anklang finden! Ich danke für das Mitlesen und die Anteilnahme. Ich will denen, die es gerne möchten, die Möglichkeit geben, etwas in die virtuelle Kaffeekasse zu tun. Herzlichen Dank für die Anerkennung!