Donnerstag, 30. Mai 2019

Berlin, Berlin

Es scheint, als ob die Augustschnuppe so nach und nach ihren Mittagsschlaf abschaffen würde. Manchmal schafft sie es bis zum Abend ohne Schlaf. Das heißt, es gibt am Tag keine Pause für mich. Schläft sie, habe ich zwar mittags ein bisschen Pause, dafür hält sie dann aber am Abend bis gegen 22 Uhr durch.

Am Nachmittag ist hier ein Kommen und Gehen. Die Schulkinder kommen zu unterschiedlichen Zeiten und gehen dann auch wieder ihren Hobbys nach oder besuchen Freundinnen und Freunde. Ich nehme Elternpost entgegen, reiche Getränke und Essen. Viel Essen. Was ich damit sagen will: wenig Zeit zum Gedanken zu Ende denken, für eigene Anliegen, geschweige denn Hobbys oder Bloggen.

Als ich vor zwei Wochen nach Berlin gefahren bin, habe ich meine freie Zeit deshalb so richtig genossen. Meine zwei Bücher blieben ungelesen im Koffer. Ich saß während der kurzen Bahnfahrt einfach nur da und schaute aus dem Fenster.


Mein Hotelzimmer hoch oben über den Dächern der Stadt und vor allem des Hauptbahnhofs mochte ich besonders wegen der Aussicht. Die Gegend gehört im Moment zu den hässlichsten Ecken Berlins. Unglaublich, wie Touristen an diesem Ort in einer Millionenstadt begrüßt werden. Ich aber liebe die mir sehr vertrauten Geräusche so sehr. Da ist das Surren der S-Bahn beim Anfahren, das Bimmeln der Straßenbahn und ihr Quietschen, wenn sie um die Kurve fährt, das Hupen der Autos und Gesprächsfetzen der vielen Menschen da unten. In der Nacht war es dort übrigens erstaunlich ruhig.

Neben meinem Besuch der Elternbloggerkonferenz Blogfamilia, dem Hauptgrund meiner Reise, hatte ich mir noch viel Zeit zum Treiben lassen und für ein bisschen Kultur eingeplant. Als ich am Freitag, den 17. Mai, meinen Koffer in mein Hotelzimmer gebracht hatte, saß ich erstmal eine Weile da oben in der 10. Etage am Fenster und ließ mir die Berliner Luft um die Nase wehen.

Dann machte ich mich auf den Weg in die Stadt. Zuerst fragte ich im Friseursalon im Hauptbahnhof nach einem kurzfristigen Termin. Zu Hause war ich vor ca. zwei Wochen beim Friseur, war aber nicht ganz zufrieden und schnippelte mir selber ein paar Fransen an den Seiten ab. Hmpf, das hat es nicht besser gemacht. Im Hauptbahnhof war nichts für mich frei. So fuhr ich zum Bahnhof Friedrichstraße und fragte im dortigen Salon nach. "Klar, ick rette Sie!" rief mir eine patente Frau entgegen. Und das tat sie auch. Prima!

Danach hatte ich noch ein bisschen Zeit bis zu meinem Abendtermin. Ich nahm die S-Bahn Richtung Zoologischer Garten. Weil das Wetter so schön war, beschloss ich, schon am Bahnhof Tiergarten auszusteigen und ein Stück die Straße des 17. Juni runterzulaufen. Das war eine gute Idee, es war wunderbar. Die Abendsonne tauchte alles in orange-goldenes Licht, in der Luft schwebten fluffige Samen von Bäumen und der Himmel war lieblingsfarben.

Ich kam am Charlottenburger Tor vorbei, an der Technischen Universität und erreichte den Ernst-Reuter-Platz. Da befand sich mein Ziel des Abends, das Schillertheater. Auf dieser Bühne wurde an dem Abend das Stück "Unterleuten" von Juli Zeh nach ihrem gleichnamigen Roman (Amazon-Partner-Link) gegeben. Es war ein Gastspiel von Schauspielerinnen und Schauspielern der Komödie am Kurfürstendamm. Auf der Bühne ein Wald und Häuser und viele Menschen, die in dem fiktiven brandenburgischen Dorf zwanzig Jahre nach der Wende versuchen, dort miteinander zu leben. Es kommen Investoren, es brechen uralte Konflikte auf und am Ende wird es Gewinner und Verlierer geben.

Das Stück hat mir gut gefallen, auch wenn es an manchen Stellen etwas langatmig war. Aber überhaupt mal wieder die Theaterluft atmen! Es dauerte bis 23 Uhr. Kurz überlegte ich, die Bismarckstraße hinunterzulaufen, um mir mal wieder meine frühere Ausbildungsstätte anzuschauen, die ich mit Babypause fast 9 Jahre lang besucht habe. Dann entschied ich mich aber doch für eine schnelle Rückfahrt zum Hotel.

Oben überm nächtlichen Berlin schaute ich noch ein bisschen aus dem Fenster. Unter mir summte die Stadt ganz leise. Unterm Baukran hing der leuchtende Vollmond am hellen Nachthimmel und begleitete mich in den Schlaf.









Als ich am nächsten Morgen um 4:30 Uhr erwachte, war es schon wieder fast ganz hell. Typisch, die Sache mit dem Ausschlafen habe ich wohl für immer verlernt. Ich drehte mich nochmal um und schlief bis ca. halb 8. Dann machte ich mich schick für die Blogfamilia. Ich brauchte nur ein Stückchen mit der Straßenbahn fahren, dann erreichte ich nach einem kurzen Spaziergang den Veranstaltungsort.

Am frühen Abend war ich leergequasselt und ein bisschen müde. Ich fuhr zurück zum Hotel, um meine Goodiebag unterzubringen und mich frisch zu machen. Ich hatte mir für den Abend eine Kinokarte gekauft und wollte deshalb zufällig schon wieder in Richtung Zoologischer Garten fahren.

Ich lief durch den Hauptbahnhof hindurch und auf der anderen Seite über die Spree. Massen von Menschen waren unterwegs. Mir kamen viele Läuferinnen in Sportkleidung entgegen. In der Ferne, aus der Richtung Brandenburger Tor wummerten die Bässen von lauter Musik. Ich lief weiter, war mir aber nicht so sicher, ob ich wirklich in eine Großveranstaltung geraten wollte. Im Regierungsviertel waren alle Grünflächen durch Bauzäune abgesperrt.

Mein Plan war, mit dem 100er Bus einmal quer durch die Stadt bis zum Bahnhof Zoo zu fahren. Neben dem Reichstag wartete ich eine ganze Weile auf den Bus, der wahrscheinlich wegen der Veranstaltung Verspätung hatte. Proppenvoll kam er dann doch, ich bekam einen Platz im Oberdeck. Wir schaukelten durch den Tiergarten und am Schloss Bellevue vorbei. Die Goldelse auf der Siegessäule strahlte und funkelte wie frisch geputzt. Am Ku'damm wieder dieses für mich ungewohnte Bild mit den ganzen Hochhäusern.

Meine Kinokarte galt für das ziemlich neue Kino Delphi Lux. Das wollte ich mal testen. Weil ich noch Zeit hatte, lief ich noch ein Stückchen um die Ecke bis zum alten Kino Delphi. Hier habe ich schon unzählige Filme gesehen, früher. Gerne auch am Sonntag in der Matinée.

Immer, wenn ich in dieser Straße bin, halte ich inne und schaue hoch zu den Fenstern in der 2. Etage des Hauses Kant-/ Ecke Fasanenstraße. Dort lebte die Familie von Isaak Behar, der Anfang der neunziger Jahre als Zeitzeuge in meiner Schule war und von seinen Erlebnissen im 2. Weltkrieg berichtete. Nur durch Zufall war er nicht in der Wohnung als seine Eltern und seine zwei Schwestern von der Gestapo abgeholt wurden. Die Familie wurde deportiert und in Auschwitz ermordet. Der damals 19jährige Isaak Behar konnte sich verstecken und überlebte mit viel Glück. Seine bewegende Geschichte hat er in dem Buch "Versprich mir, dass du am Leben bleibst" (Amazon-Partner-Link) aufgeschrieben. Isaak Behar lebte bis 2011.

Im Kino Delphi Lux betrat ich einen sehr plüschigen und komplett flamingofarbenen Kinosaal. Gemütlich auf alle Fälle. Ich hatte mir den Film "Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit" mit Willem Dafoe ausgesucht. Ich dachte, ein ruhiger Film mit schönen Landschaftsaufnahmen über den Maler wäre ein entspannter Abschluss eines langen Tages. So versprach es zumindest der Trailer. Nun, Entspannung trat nicht ein, denn der Film war sehr herausfordernd. Kameraführung bis zum Schwindelgefühl und unharmonische laute Klaviermusik erforderten meine ganze Aufmerksamkeit. Ein Meisterwerk, keine Frage. Aber sehr gewöhnungsbedürftig.

Wieder war ich erst gegen Mitternacht in meinem Hotelzimmer. In der folgenden Nacht schlief ich recht gut. Am nächsten Morgen holte ich mir den Tagesspiegel und stieg in den Zug. Als ich die Zeitung durch hatte, war ich schon wieder zurück in Hamburg.










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