Dienstag, 17. August 2021

Wochenbeginn


Gestern Abend war für alle, die neu in Wismar sind, wieder das "Stammtischtreffen" des Welcome Service Centers. Diesmal trafen wir uns auf dem Gelände des Seglervereins gleich neben der Seebrücke in Wismar-Wendorf. 

Eigentlich stand auch Drachenbootfahren auf dem Programm. Dafür hatte ich mich angemeldet, das hätte ich zu gerne gemacht! Das Bootfahren wurde dann doch kurzfristig abgesagt, weil es fast den ganzen Tag regnete und sehr windig war. Doch abends beim Grillen blieb es trocken und ab und zu schaute sogar noch die Abendsonne durch die Wolken.

Ein schönes Panorama konnte ich von dort sehen. Quer über die Wismarbucht blickte ich auf den Hafen von Wismar und die Werft. In unseren Gesprächen erzählten wir uns unsere Umzugsgeschichten, die alle mehr oder weniger von der Corona-Krise betroffen waren. Und von unserem Glück, uns Wismar als neue Heimat ausgesucht zu haben.





Die Nacht war schlecht. Ich bin mit Kopfschmerzen schlafen gegangen und habe denselben Fehler wie immer gemacht: zu denken, durch das Schlafen würden die Schmerzen weggehen. Ich hatte echt eklige Träume und wurde um 5 Uhr von höllischen Kopfschmerzen geweckt.

Am Morgen schaue ich kurz in mein Internet und diese Zeichnung einer afghanischen Künstlerin reißt mir förmlich den Boden unter den Füßen weg. Schon die Bilder der vergangen Tage in den Medien waren grenzwertig. Doch diese Zeichnung macht, dass in meinem Kopf ganz fürchterliche Bilder, was das Schicksal von Frauen und Mädchen betrifft, entstehen und ich mich vor Entsetzen fast übergeben muss.

Dann bürste ich meiner kleinsten Tochter die schönen langen weichen Haare, flechte ihr einen Zopf und bringe sie in den Kindergarten, wo sie den ganzen Tag unbeschwert und fröhlich mit anderen Kindern spielen darf. 

Auf dem Weg in die Innenstadt habe ich ganz weiche Knie. Mir ist schwindelig und ich habe das Gefühl, ich bekomme eine Panikattacke. Weinen will ich auf offener Straße nicht, obwohl ich weiß, dass es mir gut tun würde, die Tränen laufen zu lassen. Ich muss dringend irgendetwas Schönes sehen, tun....

Ich konzentriere mich auf meinen Atem und versuche, tief und ruhig zu atmen. 
Ich sehe die Schönheit um mich herum. Wunderbare Giebelhäuser. Blauer Himmel. Gelbe Blätter leuchten mir aus den Linden entgegen. Ich denke an die Dinge, für die ich dankbar bin. Ich denke und denke und denke....




Heute will ich gar nicht mit den Kindern schimpfen. Heute will ich mich gar nicht über die viele Hausarbeit beschweren. Heute kaufe ich die leuchtendsten Blumen und stelle mir besonders schöne Sträuße zusammen. 

Heute backe ich den Kindern fluffige Zimtschnecken und mache einen schönen bunten Obstteller dazu. Heute spende ich für afghanische Frauen. Heute nehme ich wieder mein Linolschnittbesteck in die Hand. Die Kopfschmerzen sind dank Medizin weg. Die Sorgen und die Hilflosigkeit bleiben leider.

In sechs Wochen darf ich frei und in Frieden wählen gehen und weiß genau, wer meine Stimme bekommt. Und morgen hat mein Blog Geburtstag und ich will ein bisschen Freude in die Welt bringen. Schaut dann gerne wieder vorbei!






Ich danke für das Mitlesen und die Anteilnahme. Ich will denen, die es gerne möchten, die Möglichkeit geben, etwas in die virtuelle Kaffeekasse zu tun. Herzlichen Dank für die Anerkennung!



19 Kommentare:

  1. Vielen Dank für deinen wunderbaren Text. Ich kann das so gut nachvollziehen. Mir geht es ähnlich. Diese Zeichnung habe ich zum ersten Mal gesehen und mit meiner Tochter darüber gesprochen.
    Das war sehr wichtig und ein guter Anlass.

    Liebe Grüße, Tany

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  2. Tja, wohl dem und der, der/die wegschauen kann. Der/die noch schönes im Leben hat zum Freuen. Das ist schon verdammt privilegiert. Zu sagen, man halte allein das Hinsehen nicht aus, unglaublich verächtlich gegenüber denjenigen, die diese Situation nicht nur im Internet sehen, sondern am eigenen Leib erleben müssen.

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    1. Oh ja, ich bin mir meiner Privilegien mehr als bewusst!

      Ich schaue doch hin. Sorge mich, leide mit. Informiere mich. Und tue das, was in meiner Kraft liegt. Nicht mehr und nicht weniger.

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    2. Ich verstehe nicht was daran "verächtlich" sein soll, wenn man als öffentliche Person diese schlimmen Geschehnisse thematisiert und über seine Gefü

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    3. .. Gefühle schreibt. Im Gegenteil, das nicht zu tun wäre problematisch, aber auch nicht "verächtlich".

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    4. Wie kann man das verächtlich nennen? Das verstehe ich nicht.

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    5. @Tina Sollen wir jetzt alle in Sack und Asche gehen, weil wir das Glück haben in Deutschland geboren zu sein?
      Man darf von seiner Hilflosigkeit überfordert sein und kann sich dann überlegen, was frau vielleicht im Kleinen tun kann, um die Welt ein wenig besser zu machen.

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  3. Ich verstehe dich sehr gut.
    Fühl dich herzlichst umarmt.

    Liebe Grüße vom kleinen Hof am Meer,
    Ruth

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  4. Wahrnehmen, Anteil nehmen, helfen. Gleichzeitig bei sich selber mit Frieden und Freude an einer schönen Welt mitwirken.
    Nur mitleiden würde niemandem helfen. Und Schreckliches aus der Welt auch mal zu verdrängen, halte ich für unausweichlich, wenn man nicht voller Verbitterung anderen vorwerfen möchte, wenn bei ihnen nicht alles nur furchtbar ist. Freude verbreiten, gerade, weil die vielen so fehlt. Schöne Fotos im Blog teilen. Und auch Sorgen. Sich verbunden fühlen. Mir hilft dein Blog oft für eine kurze Auszeit und ein Lächeln. Danke.
    Christine

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  5. Ach Du Liebe, ich fühle mit Dir.
    Aber...hast Du in letzter Zeit Deine Schilddrüsenwerte kontrollieren lassen bzw. gehört vielleicht die Medikation anderes eingestellt. Aus eigener Erfahrung ließ mich das Wort Panikattacke aufhorchen. Weiterhin alles Gute

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  6. Ich finde überhaupt nichts verächtliches daran, wenn man angesichts der schrecklichen Ereignisse überfordert ist. Im Gegenteil, für mich zeigt das Empathie und Anteilnahme. Natürlich sind wir alle privilegiert, weil wir solches Grauen nicht durchleben müssen. Gerade deshalb ist das Hinsehen und Anteil nehmen wichtig. Genau so wichtig finde ich aber neben Dankbarkeit für die eigenen Privilegien und dem Hinsehen und helfen (soweit möglich) auch das Abgrenzen. Pandemie, Flutkatastrophe, Afghanistan - es passieren so viele Dinge, die uns beunruhigen, verunsichern, ängstigen. Deshalb müssen wir auch gut auf uns selbst achten und für uns sorgen. Nichts daran ist verächtlich und niemandem ist geholfen, wenn man sich selbst kaputt macht.

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  7. Die Frage ist, ob ein Blog solche komplexen Themen bearbeiten KANN.
    Egal von wem und mit wem.
    Ob nicht noch mehr Fragen als Antworten entstehen....
    LG Anna

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    1. Ganz genau!

      Bestimmt geht das. Aber eher nicht in meinem Blog.

      Viele Grüße zurück!

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  8. Danke dir für den Anreiz, den afghanischen Frauenverein zu unterstützen, das habe ich jetzt direkt gemacht.
    Wie Judith Holofernes singt: "Fühlst du dich hilflos, geh raus und hilf los." - das macht eben jede und jeder nach den jeweiligen Möglichkeiten.
    Gerade bei all den Fürchterlichkeiten ist es auch eine Stärke, den Blick für das Schöne zu bewahren - danke, dass du das tust!
    Herzliche Grüße
    Sonja

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