Nach Wismar zu fahren, ist immer wie eine kleine Reise in die Vergangenheit. Hier haben meine Großeltern gewohnt, hier ist meine Mutter aufgewachsen, hier haben meine Eltern geheiratet, hier habe ich unzählige Ferientage verbracht.
Ich bin alleine durch die engen Straßen mit den kaputten Häusern gestreift und kannte sie wie meine Westentasche. Im Lindengarten habe ich mir Eis geholt und die Blumenuhr bewundert. Am Marktplatz habe ich mir Briefmarken für meine Sammlung gekauft und im Kino habe ich alte Märchenfilme gesehen. Im Winter war der Mühlenteich zugefroren und ich bin mit der Nachbarstochter aus dem Schwanenweg über das Eis gelaufen.
2008 waren wir das letzte Mal in der Stadt. Damals haben wir mit meiner Oma einen Ausflug gemacht. Nach dem Tod meines Opas ist sie zu uns nach Berlin gezogen, hat aber regelmäßig ihre Kontakte zu alten Bekannten gepflegt.
Letzte Woche war der Tag zunächst etwas grau. Das machte nichts, denn im Gegensatz zu früher leuchten heute die meisten Häuser in der restaurierten Altstadt in bunten freundlichen Farben. Die Fußgängerzone ist fast zu geleckt, aber zum Glück kann man hier und da noch Relikte vergangener Zeiten entdecken.
Der Marktplatz mit der Wasserkunst gehört für mich zu den schönsten Plätzen, die ich kenne. Die Kinder drehten ihre Runden um den Brunnen und mir kam es vor wie gestern, als mein Bruder und ich dasselbe taten. Und dann traf ich tatsächlich eine alte Freundin meiner Oma wieder. Ich habe sie sofort erkannt. Die Frau kennt mich, seit ich ein Baby war. Es war ein merkwürdiges Gefühl, durch diese Frau auf meine allerletzte feine Verbindung zu dieser Stadt und meiner Vergangenheit zu treffen.
Essen waren wir diesmal im "Suppengrün". Das ist ein kleiner feiner Laden, der, wie der Name schon sagt, verschiedene Suppen und auch andere kleine Köstlichkeiten anbietet. Das tolle 3-Frauen-Team bestehend aus Mutter, Tochter und Enkeltochter kocht alles frisch und hat jede Woche andere Suppen im Programm. Der Liebste löffelte begeistert seine Soljanka, ich hatte eine italienische Hühnernudelsuppe. Die Kinder freuten sich über Milchreis und Knuspermüsli. Und die Kirschsuppe mit Mehlklößchen war ein Traum!
Weil am Nachmittag die Sonne schien, besuchten wir den Tierpark Wismar. Ich war als Kind das letzte Mal dort. Der Park ist ziemlich klein und jetzt im Winter ziemlich unbelebt. Am Eingang die Überraschung: das Tor war sperrangelweit offen, die Kasse geschlossen. "Gehen Sie ruhig durch!" rief uns ein Mitarbeiter zu. Das taten wir dann auch. Wir waren an diesem Wochentag die einzigen Gäste und entdeckten Luchse, Silberfüchse, Wisente und Damwild. Das Tollste aber war die große Wiese mit den Erdlöchern, aus denen lebhafte Präriehunde pfiffen und sich völlig frei bewegen durften. Die Kinder konnten ganz nah herangehen und freuten sich sehr. Um uns herum spazierten mehrere beeindruckende Pfaue mit ihrem herrlichen Gefieder. Am Ausgang warfen wir unser Eintrittsgeld in eine Spendendose.
Auf der Rückfahrt von Wismar nach Kühlungsborn fuhren wir über die Dörfer. Bei Stove entdeckten wir eine schöne alte Windmühle und machten Halt. Die denkmalgeschützte, voll funktionstüchtige Mühle von 1889 steht auf einem hohen Hügel. Es gibt sogar einen Windmühlenverein, der sich um die Mühle und ein Dorfmuseum kümmert. Von dort oben genossen wir bei tiefstehender Sonne einen wunderbaren Blick über die Wiesen hinab bis zum Salzhaff.