Dort, ganz nah und doch für mich unerreichbar weit weg, befand sich West-Berlin. Ich sah eine Kirchturmspitze und ein paar Häuserdächer. Etwas unheimlich fand ich das, waren die Geschichten von "drüben" doch sehr ambivalent. Das Land da drüben sollte fürchterlich hart und unser Feind sein, andererseits wohnten dort Verwandte, die immer sehr schöne Briefe und Pakete schickten. Und über allem breitete sich doch ein und derselbe Himmel aus, ich konnte es genau sehen.
Ich hatte noch die Anekdote über meine Großeltern im Ohr, die im August 1961, als Berlin über Nacht geteilt wurde, sagten: "Nein, das glauben wir nicht. Das geht doch gar nicht!". So unglaublich erschien es nicht nur ihnen, eine Stadt einfach so in zwei Teile zu trennen. Für mich war das als Kind dann zur Normalität geworden. Der Mauerstreifen zog sich als breite Schneise quer durch die Stadt.
Nach der Öffnung der Mauer ging alles ganz fix. Die Mauer wurde erst zerklopft und dann abgerissen. Schnell sollte dieses Kapitel der Stadtgeschichte vergessen werden. Jüngere Bürgerinnen und Bürger wussten irgendwann gar nicht mehr, wo überhaupt die Mauer stand. Die eigene Herkunft wurde bisweilen sogar verschwiegen. Es interessierte auch niemanden mehr, bis auf den Besuch aus Amerika.
An der Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße bin ich bis jetzt immer nur mit der Straßenbahn vorbeigefahren. Ich war schon stolz, dass diesen Gedenkort gibt und dass er anscheinend auch gut besucht wird. In der Bernauer Straße wurde die Stadt entlang einer Häuserzeile geteilt. Die Gegend entwickelte sich zu einem Brennpunkt der Geschichte.
Am letzten Samstag bin ich früh am Morgen extra noch vor meiner Veranstaltung einen kleinen Umweg gefahren und an der Gedenkstätte ausgestiegen. Ein paar Meter weiter wird auch ein Mauerstreifen dargestellt, wie er damals existierte. Mit Mauersegmenten und Grenzanlagen. Ich habe mir aber nur ein kleines Stück der öffentlich zugänglichen Stelle angesehen, nämlich den Teil, wo unzählige Metallstäbe den originalen Verlauf der Mauer markieren.
Die hohen Metallstäbe stehen so, dass sie je nach Betrachtungsweise durchscheinend oder ganz blickdicht sind. Die sind mir zuallererst aufgefallen. Als ich an ihnen entlanggelaufen bin, fielen mir viele Wegmarken auf. Sie weisen auf bestimmte dokumentierte Ereignisse an der Mauer hin, wie Fluchtversuche von bestimmten Familien, zeigen Hausnummern etc.. Große Steinplatten zeichnen die Wege vieler Fluchttunnel nach.
An dem Ort, wo die Versöhnungskirche stand, die 1985 gesprengt wurde, steht jetzt die Kapelle der Versöhnung. Die geretteten Glocken hängen in einem Holzgerüst daneben. Der Grundriss der alten Kirche wird im Gras markiert, genau so wie die Grundrisse der Häuser drumherum. Sie standen genau auf dem Grenzstreifen. Zuerst wurden die Fenster zugemauert, später wurden die Häuser ganz abgerissen. An einer Stelle hat man ein Fundament mit Kellerräumen entdeckt und freigelegt. Die Grenze verlief mitten durch das Haus hindurch. Da wird auf einmal ganz deutlich und erfahrbar, wie ungeheuerlich diese Teilung war.
Mich hat dieser kurze Besuch sehr berührt. Die Art und Weise, wie an diesem Ort an den Abschnitt Berliner Geschichte erinnert wird, empfinde ich als angemessen und respektvoll. Eine Besichtigung ist sehr empfehlenswert.