Donnerstag, 10. August 2017
Noch 3 Tage bis zum errechneten Geburtstermin. Am Mittag schreibe ich
diesen Eintrag. Nachdem wir am Vortag mit den Fahrrädern zum Wochenmarkt gefahren sind, möchte ich es an diesem Tag ruhig angehen lassen. Irgendwie wurschteln sich meine drei Ferienkinder durch den Tag. Ich erledige den täglichen Haushaltskram und will eigentlich nur meine Ruhe haben. Zum Mittag gibt es Milchreis mit Zucker und Zimt und Apfelmus. Danach dürfen die Kinder einen Film schauen, ich schlafe derweil im Sessel ein.
Ich bin den ganzen Tag über irgendwie unruhig. Am Nachmittag ruft das Mutzelchen ihre Freundin an. Die beiden haben sich seit Ferienbeginn nicht gesehen. Es wird ein Übernachtungsbeschluss gefasst. Ich bringe meine Große über die Straße und bin ein bisschen erleichtert, ein Kind weniger zu Hause zu haben. Der kleine Bruder und der Adventsjunge spielen ganz gut miteinander, bis es Zeit wird für das Abendessen. Ich bin froh, den Tag geschafft zu haben.
Der Liebste kommt um kurz vor 18 Uhr nach Hause. Endlich. Ich bin beruhigt, dass er nun da ist. Die Jungs dürfen schon KIKA anmachen und bekommen einen bunten Schnittchenteller auf dem Sofa. Ich verziehe mich ins Schlafzimmer und will nur noch in Ruhe gelassen werden. Um 19 Uhr ist die Fernsehzeit für die Jungs vorbei. Sie gehen sich die Zähne putzen und gehen danach in ihre Betten. Sie hören noch Hörspiele und schauen Bücher an.
Ich ziehe um ins Wohnzimmer auf meinen Sessel und schaue die Berliner Abendschau und die Tagesschau, mein tägliches Feierabend-Ritual. Während dieser Zeit habe ich Wehen, auf die ich mich konzentrieren muss. Ich starte auf dem Handy eine Wehen-App um die Abstände zwischen den Wehen zu beobachten. Die Wehen kommen so alle 7 bis 8 Minuten. Ich erzähle das dem Liebsten, der mich skeptisch beäugt und mich darauf hinweist, dass es bei den letzten Geburten von diesem Punkt an nicht mehr allzu lange gedauert hat. Ich wiegle ab und sage, das wäre alles noch ganz harmlos. Ja, auch als Fünftgebärende bin ich mir mal wieder nicht sicher, ob die Geburt nun losgeht oder nicht.
Der Liebste macht sich schnell noch ein Brötchen und schafft dann Fakten, indem er die beiden großen Matratzen unter den Kinderbetten hervorholt und im Wohnzimmer vor dem Sofa ein Matratzenlager baut. Unter das Bettlaken kommt ein großer wasserundurchlässiger Matratzenschoner. Der Adventsjunge kommt aus seinem Zimmer, sieht das Matratzenlager und fragt "Wer kommt heute?" weil er denkt, wir bekämen Besuch. Ich sage ihm, dass seine kleine Schwester vielleicht bald geboren wird und bitte ihn, wieder in sein Zimmer zu gehen.
Wir entscheiden, oder vielmehr der Liebste, die Hebamme zu informieren. Um 20:12 Uhr telefoniert der Liebste mit ihr und gibt ihr den Stand der Dinge durch. Die beiden beschließen, dass der Liebste sich melden soll, wenn die Wehen in kürzeren Abständen kommen.
Die Tagesschau ist vorbei und ich entdecke die Übertragung der Leichtathletik-WM. Damit will ich mich ablenken. Irgendwie kann ich aber nicht mehr sitzen. Ich laufe kurz in die Küche und schaue dort aus dem Fenster. Der Liebste ist am aufräumen und kocht eine Kanne starken Kaffee für den Dammschutz. Ich spüre eine Wehe heranrollen und gehe schnell zum Esstisch, wo ich mich an einer Stuhllehne festhalte und meinen Rücken fest gegen die Wand drücke. So stehend veratme ich die Wehe und warte, bis sie vorüber ist. Dann laufe ich etwas herum, komme aber nicht weit sondern stelle mich schnell wieder an meinen Platz und atme und töne.
Jetzt bin ich mir plötzlich sicher, dass es nicht mehr lange dauern kann. Das kommt mir alles so bekannt vor. Bei der letzten Wehe spürte ich einen vorsichtigen Anflug des Pressdrangs. Der Liebste soll die Hebamme anrufen! Um 20:28 Uhr hat er sie an der Strippe. Sie ist mit ihrer Kollegin in einem Restaurant am Hamburger Hafen und will sich auf den Weg machen. Ich laufe so schnell ich kann rüber ins Schlafzimmer, um meine Hose auszuziehen. Ich schmeiße meine Sachen in die Ecke und ziehe mir ein Nachthemd an. Ich will dann auch lieber nicht mehr am Tisch stehen, denn ich habe das Gefühl, es wäre gut, es wäre etwas Weiches unter mir. Für alle Fälle...
Ich knie mich auf die Matratze vor dem Sofa und liege mit dem Oberkörper auf dem Couchtisch, auf dem ein dickes Kissen liegt. Mit den Händen halte ich mich am Tischrand fest. Das habe ich in der Schwangerschaft getestet und als meine bevorzugte Position für die Geburt erkoren. Der Liebste holt Einwegunterlagen und Handtücher und weicht nicht mehr von meiner Seite.
Da rollt wieder eine Wehe heran und ich muss pressen. Das ist echt heftig. In mir drin ein großes Brennen und Drücken. Während der nächsten Wehe platzt die Fruchtblase. Nach der Wehe fühle ich, ob ich das Köpfchen des Babys schon tasten kann. Nein, nichts. Schon wieder eine Wehe und ein Pressdrang wie nie. Die Wehen kommen praktisch ohne Pause. Ich kann sie nicht mehr wie gewohnt veratmen und brülle nur noch ins Kissen. Ich denke an mein Baby und dass es Sauerstoff von mir braucht. Also versuche ich, zu hecheln.
Ich habe ziemliche Schmerzen und denke, ich zerreiße. Ich hechle und schreie. Wie lange kann ich das durchhalten? Der Liebste redet beruhigend auf mich ein und sagt immer wieder "Du machst das gut. Du machst das guuuut.". Ich bin so froh, dass er an meiner Seite ist. Dann sagt er plötzlich "Der Kopf ist da!" Ich kann das gar nicht glauben. Nun kommt keine Wehe mehr, aber ich will es jetzt wirklich wissen. Mit all meiner Kraft presse ich ein letztes Mal und rufe "Nimm sie!"
Stille. Ich schaue auf meine Armbanduhr. 20:53 Uhr. Dann kriege ich fast einen Lachanfall. Es ist geschafft! Ich habe es geschafft! Ich höre ein leises Quäken hinter mir und will endlich mein Baby sehen. Der Liebste hat das Baby vorsichtig aufgefangen und auf der Matratze abgelegt. Jetzt wischt er es ein wenig ab. Dann wickelt er es mit den roten Duschtüchern warm ein. Ich schlage ihm vor, mir das Baby durch meine Beine hindurchzureichen. Er legt es unter mich. Große Kulleraugen gucken mich ganz wach an. Ich will das Baby hochnehmen, aber die Nabelschnur ist viel zu kurz. So muss ich es erstmal eingewickelt liegen lassen und knie über dem Kind.
Der kleine Bruder und der Adventsjunge sind immernoch wach in ihrem Zimmer. Der Liebste soll sie doch mal holen. So sitzen die beiden nur 5 Minuten nach der Geburt neben mir und bewundern ihre kleine Schwester. "Willkommen auf der Welt!" sagt der kleine Bruder. "Willkommen in Hamburg!" sagt der Adventsjunge. Beide sind ganz verzückt und freuen sich. Der Liebste macht die ersten Fotos.
Um kurz nach 21 Uhr klingelt es an der Tür. Die Hebamme ist da. Ich höre wie der Liebste ins Treppenhaus spricht, dass die Hebamme langsam machen kann, das Kind wäre schon da. Sie betritt das Wohnzimmer und begrüßt uns. Die Nabelschnur ist mittlerweile auspulsiert, so kann mich die Hebamme endlich aus meiner Lage befreien und schneidet die Nabelschnur durch. Die Plazenta kommt. Ich nehme das Baby hoch und setze mich angelehnt ans Sofa in eine bequemere Position. Uff! Die zweite Hebamme trifft ein und alle gemeinsam freuen wir uns über diese besondere Überraschung.
Wir quatschen und lachen alle und bestaunen das Baby. Das liegt ganz entspannt in meinen Armen. Die Jungs können nun erst recht nicht mehr schlafen und kommen alle paar Minuten vorbei, um das Baby anzusehen und abzuküssen. Die Hebammen lassen uns für eine Weile in Ruhe und beginnen am Esstisch mit dem Papierkram. Geburtsbericht schreiben, Unterlagen für das Standesamt ausfüllen usw.
Dann schicken wir die Jungs endgültig ins Bett. Das Baby wird angeschaut, gemessen und gewogen. Es ist 52cm groß, 3750g schwer und hat einen Kopfumfang von 36cm. Dann werde ich untersucht, alles ist heile und mir geht es gut. Ich gehe kurz duschen, ziehe mir etwas an und lege mich dann im Schlafzimmer ins Bett. Das Baby wird mir gebracht und nun können wir kuscheln. Die Hebammen räumen noch ein bisschen auf und verlassen uns gegen 23 Uhr. Der Liebste schaltet die Waschmaschine an und macht sich auch bettfertig. Er legt sich zu mir und unserer neugeborenen Tochter. Wir schauen uns an und heulen beide vor Glück gleichzeitig los.
Am nächsten Morgen stehen die Jungs gleich wieder an unserem Bett. Sie wollen schauen, ob das Baby noch da ist. Das Mutzelchen kommt heim und freut sich sehr. Sie kann es gar nicht fassen, dass während sie mit ihrer Freundin beim Filmabend auf dem Sofa gesessen hat und Chips gegessen hat, woanders ein Baby geboren wird. Unser Baby. "Aber eigentlich wusste ich das schon. Denn ich habe an diesem Tag eine Wimper von mir gefunden, sie fortgepustet und mir gewünscht, dass unser Baby kommt." Gut gemacht! Endlich ist sie da, unsere kleine Augustschnuppe!
hier sind die Geburtsberichte meiner anderen vier Kinder versammelt