"Wo seid Ihr denn?!" lese ich vor dem Zubettgehen auf meinem Handy. Nanu? Die Nachricht kommt vom Liebsten und ist ein paar Stunden alt. Ein Anruf von ihm wird auch angezeigt.
Kurz vor 18 Uhr war das, als ich erneut ins Mutzelzimmer rufe, wann Mutzi denn endlich den Tisch deckt. Sie guckt mich ganz erstaunt an. Sie hat es wohl über ihrem Buch vergessen. Ich pendle zwischen der Küche, wo ich das Abendessen vorbereite und dem Badezimmer, wo der kleine Bruder und der Adventsjunge in der Wanne sitzen, hin und her.
In der Küche schneide ich grünen Spargel und will ihn anbraten. Dazu soll es gewürfelten Fetakäse und Erdbeeren geben. Während ich arbeite, bin ich mit mindestens einem Ohr im Bad bei den Jungs. Dass der Boden schwimmt, ist eh klar. Aber das macht mir schon gar nichts mehr, kann ich hinterher gleich mal durchwischen. Die Stimmung zwischen den Brüdern schwankt gerade minütlich zwischen "Wir sind die besten Brüder aller Zeiten!" und "Du hast aber angefangen!" "Nein, du!" "Du!" "DUUU!!!"
Als ich wieder im Bad stehe, sehe ich, dass sich die Brüder gegenseitig Shampoo auf ihre Köpfe gegossen haben. Viel. Sehr viel! Das ganze Bad riecht nach Lindenblüte. Später stellt sich heraus, sie haben die nagelneue Flasche benutzt, die ich am Vortag dem Liebsten mitgebracht hatte. Sie ist nun leer. Die Waschmaschine piept ihr Fertig-Signal.
Als ich mit viel Überredungskunst und dickem Babybauch schwitzend über der Wanne hänge und versuche, dem Adventsjungen die Shampoomassen aus seinen Locken zu spülen, klingelt es an der Tür. Nee, ich kann nicht! Der Liebste klingelt meistens um die Zeit, weil der Adventsjunge so gerne die Gegensprechanlage bedient und ihm dann aufmacht. Aber doch nicht jetzt! Der Adventsjunge sitzt kreischend im Wasser und beugt den Kopf nach vorne statt nach hinten. Klar, dass ihm da das Wasser in die Augen läuft.
Der Liebste wird doch wohl seine Schlüssel benutzen, wenn er merkt, dass niemand ihm öffnet! Ich kippe immernoch Wasser mit einem Becher über den Kopf des Adventsjungen. Schwitz. Kreisch. Ich gebe ihm einen Waschlappen, damit er sich damit die Augen zuhalten kann. Ich muss mich beeilen, denn die Geduld des Kleinen ist bereits abhanden gekommen. Drrrrrrrrrring! Meine auch.
Ich renne zur Tür und reiße sie auf. "Ich kann doch nicht! Ich bin im Bad! Warum nimmst du nicht deine Schlüssel!" rufe ich. "Weil ich meine Schlüssel vergessen habe! Ich habe sogar angerufen!" fuppert der Liebste zurück. Da bin ich schon wieder im Bad bei den Jungs und fische den Adventsjungen aus der Wanne. Im Vorbeigehen sehe ich, dass das Mutzelchen immernoch in ihrem Zimmer tagträumt.
Orrrrr, das Abendessen ist ja noch gar nicht fertig! Der Tisch ist immernoch nicht gedeckt. Und der Spargel will auch noch angebraten werden. Das Telefon klingelt und bleibt unbeachtet. Ich ziehe dem Adventsjungen seinen Schlafanzug über und gebe dem kleinen Bruder Instruktionen, wie er die Wanne und das Bad zu verlassen hat.
Der Liebste zieht sich um und übernimmt das Tischdecken. Das Mutzelchen kommt auch dazu und beginnt, ohne Punkt und Komma von ihrem Klassenausflug zu berichten. Die Jungs toben plötzlich auf dem Sofa, anstatt zu helfen. Ich brate den Spargel an und vermische ihn in einer Schüssel mit dem Feta. Die Erdbeeren stehen auch bereit. Alle an den Tisch! Da sitzen wir nun endlich beisammen. Uff. Der Adventsjunge isst wieder nur den Belag. Kakaopulver landet neben dem Glas. Der kleine Bruder will doch Müsli essen und das Mutzelchen fragt nach Limo. Die Erdbeeren müssen am besten genau abgezählt sein. Nicht, dass jemand mehr bekommt!
Nach dem Abendessen, als das Mutzelchen und der kleine Bruder den Tisch abräumen und den Geschirrspüler einräumen sollen, fällt ein Glas zu Boden. Es zerspringt auf den Fliesen in tausend kleine Scherben, die nun in der gesamten Küche liegen. Der Liebste schickt die barfüßigen Kinder schnell raus und beginnt, zu fegen.
Als alle Kinder ihre Zähne geputzt haben, sitze ich mit ihnen auf dem Sofa vor dem Sandmännchen. Der Liebste saugt immernoch penibel die Küche und räumt dann den Geschirrspüler ein. Nach dem Sandmännchen bringe ich die Kinder ins Bett. Kuscheln, umarmen, reden, alles ist gut. Mutzelchen versinkt in ihrem Harry-Potter-Buch, die Jungs dürfen noch leise ein Hörspiel hören. Türen zu. Ruhe!
Ich schnappe mir den Liebsten und schicke ihn vor die Wohnungstür. Ich öffne beschwingt, ziehe ihn in die Wohnung, falle ihm um den Hals und rufe "Da bist du ja!". Wir küssen uns und lachen und fangen den Abend einfach nochmal von vorne an. Einfach Wahnsinn, dieses Familienleben!
"Viel Spaß noch in deinem Bullerbü!" sagte mal jemand schnippisch zu mir.
Das tat mir weh. Warum? Bullerbü steht als Synonym für eine heile Welt. Es ist ein Klischee für Sonnenschein, hübsche Häuschen und glückliche Menschen. Bullerbü steht für ein romantisches Idyll, dass es so nur auf Postkarten oder in Bilderbüchern gibt. Bullerbü wird auch gerne abwertend als Schimpfwort verwendet. Auch in den Medien und vor allem gegenüber Blogs von Frauen. Das sitzt.
Ich habe das Gefühl, mir wurde mit diesem Satz ein normales Familienleben abgesprochen. Mein Leben ist demnach gar nicht echt. Mein Leben beinhaltet demnach keine Sorgen und Ängste. Ich führe also ein Leben, in dem ich mich anscheinend nicht anstrengen muss. In dem mir alles zufällt und immer eitel Sonnenschein herrscht. Ein Leben ohne Facetten. Ein langweiliges Leben.
Ja, wo gibts denn sowas?! Jeder Mensch mit ausreichend Lebenserfahrung weiß, so etwas gibt es nicht. Das Leben ist nicht so. Und wäre es ohne Stress, Sorgen und Schmerz, würden wir nicht daran wachsen können. Denn diese Erfahrungen machen uns zu den Menschen, die wir sind.
Nur weil ich gerne positiv denke und hier im Blog vor allem die schönen Momente festhalten und teilen will, heißt das nicht, dass ich nicht auch mit den ganz normalen Anforderungen eines Familienlebens kämpfe. Dass ich nicht auch mal strauchle und durch Stürme hindurchmuss. Dass ich nicht auch mal traurig bin. Oder dass ich nicht auch alle meine Nerven beisammen halten muss. Siehe oben. Das gehört nunmal dazu. Ich will das Beste draus machen und mich nicht runterziehen lassen. Und wenn am Ende des Tages Küsse und Umarmungen stehen oder ein Sessel und eine schöne Tasse Tee, ist das doch alles nur noch halb so schlimm.
Dann kann ich auch über dieses Bullerbü-Bild schmunzeln. Ist doch ganz schön hier!