Mittwoch, 3. September 2025

Bittersüße Zeiten...

... waren das in den letzten Wochen. Wieder haben wir ein Kind ziehen lassen. Es war aber so viel los, dass ich lange nicht dazu kam, meine Gefühle zu sortieren. Um mich herum wollten immer alle wissen, wie ich mich fühle, ich konnte dazu aber gar nichts sagen. Ich bin auch noch nicht fertig mit dem Überlegen, es ist ja auch alles noch ganz neu.

Alles fing mit der mehrtägigen Feierei rund um die Verleihung der Abiturzeugnisse an. Ich hatte für unsere Große eine kleine Schultüte vorbereitet. Angelehnt an ihre damalige Schultüte zur Einschulung im August 2013, die auch mit einem Einhorn verziert war. Drin war eine Kette mit einem symbolischen Anhänger zur Erinnerung an diesen Tag und diesen Abschnitt des Lebens. 


Die Verleihung der Abiturzeugnisse fand in einer der großen Kirchen von Wismar statt. Ganze zwei Stunden dauerte die Zeremonie, in der es u.a. Musik und Ansprachen gab. Dann wurden alle Schülerinnen und Schüler des dreizügigen Jahrgangs nach und nach namentlich genannt und nach vorn gerufen. Einige bekamen gesonderte Auszeichnungen und auch die Lehrerinnen und Lehrer wurden gewürdigt. Das war alles in allem ein schöner festlicher und angemessener Rahmen. 


Unser Mutzelchen, unsere Große, gehörte zu den besten Absolventinnen des Jahrgangs. Sie kann sehr stolz auf sich sein. Wir sind es sowieso.

Bitter fand ich die Diskussion, die nur ein paar Tage später in den Medien aufkam: das Abitur wäre zu leicht und das Abitur würde zu oft mit "Eins" benotet. Gerade die heutigen Jahrgänge hatten mit vielen Widrigkeiten zu kämpfen: zunächst monatelanges Lernen zu Hause wegen der Corona-Pandemie, Isolation, Wegfall aller Hobbys und dann ständiger Unterrichtsausfall, fehlende Lehrkräfte und veralteter Unterricht. Die Einflüsse der "sozialen" Medien nahmen immer mehr zu, gleichzeitig fehlten immer mehr Orte, an denen Jugendliche sich treffen können. 

Vor diesem Hintergrund ist die Leistung der Jungendlichen nicht zu unterschätzen. Das Abitur ist außerdem keine Momentaufnahme sondern Zeugnis aller Leistungen (mindestens) der letzten beiden Schuljahre. Unsere Große ist da vergleichsweise gut durchgekommen, nicht zuletzt wegen ihrer Theatergruppe und der Jugendgruppe in der Gemeinde. In diesen Gruppen fand sie Gleichgesinnte und Halt, was mich sehr für sie freut.


Nur einen Tag nach der Zeugnisübergabe war der große Tag des Abiballs gekommen. Monatelange, nein jahrelange Vorbereitungen fanden nun ihren Höhepunkt. Die Schülerinnen und Schüler des Jahrgangs haben zwei Jahre lang Geld gesammelt, um die Location, Essen und Getränke und einen DJ bezahlen zu können. Es kam am Ende so viel Geld zusammen, dass niemand mehr extra Eintrittskarten kaufen musste. 

Unsere Große hatte ihr Traumkleid ganz in Gold gefunden, mit Reifrock, Haarschmuck und Schuhen. Der Liebste und ich gingen in Dunkelblau, ich mit Glitzer. 

Der Ort war schließlich wunderschön hergerichtet. Die Tische waren liebevoll geschmückt, Getränke standen bereit. Es gab eine Sitzordnung, einen feierlichen Einzug mit Eröffnungstanz, ein großartiges Buffet und viel Zeit zum Reden, Erinnern und auch Abschiednehmen. Bis nach Mitternacht feierten wir, die letzten Gäste blieben sogar noch länger. 


Als es schließlich auch für die anderen Kinder Zeugnisse gab, bekamen meine Kinder noch ihre Ferienpäckchen von mir. Mit angemessener Botschaft. 


Als das Mutzelchen in der Gemeinde verabschiedet wurde, brachten wir bunte Platten fürs anschließende Buffet mit. Ich habe gelernt, dass Mutzelchens neues westfälisches Zuhause die Heimat des Pumpernickels ist. So hatte ich mir in den Kopf gesetzt, die kleinen runden Brote mit bunten Belägen mitzubringen. Ich kannte sie noch von Buffets in den 90er Jahren und hatte sie lange nicht gegessen. Ich musste in Wismar in mehreren Supermärkten suchen, denn ich wollte unbedingt die runden Scheibchen haben. 


Schließlich stieg unsere Große eines Tages im August in den Zug und fuhr ihrem neuen Lebensabschnitt entgegen. Die kleine gemütliche Wohnung in Münster hatte der Liebste gefunden und in den letzten Wochen zusammen mit ihr eingerichtet. 

Ende August fuhr auch ich für ein Wochenende mit dem Zug zum ersten Mal überhaupt nach Münster. Mein Koffer war ein bisschen schwerer, weil ich meiner Großen noch ein paar Sachen hinterherbrachte. Gleich am Bahnhof fiel es mir auf: ja, der Ruf als Fahrradstadt ist berechtigt. 


Dieser Anblick allerdings täuscht enorm, denn ausgerechnet an meinem Besuchswochenende wurde in Münster ein Stadtfest gefeiert. Die gesamte Innenstadt war komplett gesperrt, an jeder Ecke schallte unterschiedlichste Musik von Bühnen, überall gab es Stände mit Essen und Getränken. Teilweise waren die Gassen so dicht, dass es kein Durchkommen gab. Ich bin kein Fan von so großen Festen, für mich war es sehr abschreckend und viel zu laut. 


Am ruhigsten war es noch in der der Kirche St. Lamberti am Prinzipalmarkt. Die Symbolik der Himmelsleiter hat mir gefallen, die Geschichte der Eisenkäfige draußen am Turm finde ich eher gruselig. Heute leuchten in den Körben Glühbirnen als Erinnerung an die Seelen der Hingerichteten. 




Da es mich immer ans Wasser zieht, besuchten meine Große und ich an einem Abend den Stadthafen. Dort konnten wir schön sitzen, bevor wir ins Kino gingen.


Das andere Gewässer in Münster ist der Aasee. Künstlich angelegt ist dieser See nur zwei Meter tief. Dort nahmen wir die Solarfähre und ließen uns eine Stunde lang umherschippern. 


Abendstimmung am traditionsreichen Gasthaus "Kiepenkerl".


Auf der Suche nach einer Abendveranstaltung fiel uns der "Orgelsommer" auf. So besuchten wir ein kleines feines Orgelkonzert in einer Kirche. Wir hatten die allerbesten Plätze, von denen wir die bewundernswerte Arbeit des Organisten mit teilweise gleich zwei Helfern beobachten konnten. 


Nach dem schönen Orgelkonzert führte leider kein Weg dran vorbei, ich musste wieder quer durch die Innenstadt zurück zu meinem Hotel. Wieder ein unglaubliches Geschiebe und Gedrängel unter großem Gewummer von den Bühnen. 


An meinem letzten Tag in Münster spazierten meine Große und ich ein weiteres Mal die Promenade entlang. Das ist ein 4,5 Kilometer langer autofreier Ring, der die historische Altstadt auf dem Grundriss der alten Befestigungsanlagen umgibt. Unter den wunderbaren Linden lässt es sich herrlich spazieren. Außerdem ist die mittlere Spur sehr bedeutsam für den Fahrradverkehr. Hier habe ich mein Fahrrad sehr vermisst!


Das allerbeste Eis durften wir in einem klitzekleinen italienischem Café genießen. Hier Himbeersorbet und Schokolade mit Schokoladenüberzug. Ich hatte Pistazieneis, das wirklich richtig nussig schmeckte. 


Bei der Verabschiedung von meiner Großen hatte ich wieder gemischte Gefühle. Ich freue mich unheimlich für sie, dass sie die Schule so erfolgreich abgeschlossen hat. Ich finde es supercool, dass sie zu einer Entscheidung für die berufliche Laufbahn gekommen ist und sich einen neuen Wohnort gesucht hat.  Ich gönne ihr von ganzem Herzen ihre kleine gemütliche Wohnung und bin gespannt, was sie so für Erfahrungen machen wird. Ich wünsche ihr wohlgesinnte Menschen an ihrer Seite. 

Ein bisschen melancholisch bin ich dennoch. Wie schnell doch die Zeit von der Geburt bis heute verging! Was haben wir alles miteinander erlebt! Haben wir genug getan? Haben wir unserem Kind alles Wichtige vermitteln können? Manches haben wir vielleicht verpasst? 

Es ist ja auch ein Abschied von einer Lebensphase, der nun eingeläutet wurde. Für die Große, für uns als Eltern und auch für die Geschwister. Es kommen aber neue Zeiten auf uns zu, die sicherlich auch sehr spannend und interessant für uns alle werden. Mit Vertrauen und Zuversicht werden wir es schaffen. 


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