"Die Wände in unserem Kindergarten sind nass. Wir wissen nicht, wann das behoben wird. Außerdem können wir uns keine Tuschfarben mehr leisten. Papierspenden sind immer sehr willkommen. Und wenn die Eltern bitte reihum für Zahnpasta und Taschentücher sorgen könnten..." sagt die Leiterin des Kindergartens vom Großen vor ca. 11 Jahren. Es ist ihr sichtlich unangenehm. Der karge Turnraum der kleinen städtischen Einrichtung ist voll mit Eltern. Alle sitzen auf Ministühlchen. Hier und da ist ein resigniertes Seufzen zu hören.
Ich seufze auch, schüttle mit dem Kopf und ertappe mich bei dem Gedanken: "zum Glück sind wir in einem Jahr hier raus, dann interessiert mich das nicht mehr." Ich erschrecke mich sehr. Ich schäme mich, dass ich so etwas denke. Und mir geht ein Licht auf. Ich glaube, ich habe verstanden, warum nichts passiert, warum niemand etwas gegen diese und auch andere Zustände unternimmt. Damals wie heute.
Viele Eltern haben einfach aufgegeben, etwas unternehmen zu wollen. Die rare Zeit nach dem Job soll der Familie gelten und nicht noch für Aktivitäten aufgebraucht werden. Engagement braucht Zeit. Zeit, die vielen Familien fehlt. Weil die Eltern berufstätig sind. Weil keine Verwandten vor Ort sind, die auf die Kinder aufpassen könnten. Weil viele alleinerziehend sind. Weil das Geld für einen Babysitter schlicht fehlt. Weil man froh ist, i.r.g.e.n.d.e.i.n.e.n. Betreuungsplatz ergattert zu haben. Da will man sich nicht unbeliebt machen. Weil man nach der Arbeit einfach zu müde für alles ist. Der normale Alltag kostet enorm viel Kraft.
Nach dem Kindergarten, den man irgendwann erfolgreich hinter sich gebracht hat, kommt die Grundschule. Das nächste Dilemma. Am Anfang stehen teure Schulmaterialien ( "... bitte nur die Jaxon- Ölkreiden, bitte nur denundden Tintenroller, bitte nur den Pelikan- Tuschkasten..."). Ganz zu schweigen vom Ranzen. Und den Turnsachen. Dann werden regelmäßig Eltern gesucht, die die Klasse auf Ausflügen, zum Schwimmunterricht oder sogar auf Klassenfahrten begleiten. Die das Weihnachtsbasteln mit den Kindern übernehmen. Die Vorlesenachmittage organisieren. Und, und, und... Schon wieder ist Engagement gefragt. Und wieder fragt man sich, wie man das alles schaffen soll. Ich habe manchmal ein schlechtes Gewissen, weil ich oft nicht die Mutter bin, die sich mit viel Zeit und Freude engagieren kann, weil ich dabei immer an die Zeit denke, die mir dafür woanders flöten geht. Für meine vier Kinder zum Beispiel. Außerdem bin ich ja sonst auch noch berufstätig.
Ich mache ja schon mit, wo ich kann. Oft melde ich mich einfach schnell, um die Suche nach Freiwilligen abzukürzen, denn es melden sich immer weniger. Aber es kann nicht sein, dass es nicht mehr ohne Elternmitarbeit und ständige Spenden geht.
In letzter Zeit habe ich oft den Satz: "Ich bin froh, dass meine Kinder schon aus dem Kindergarten/ aus der Grundschule/ aus der Schule raus sind!" gehört. Ist doch traurig oder?!
Vielleicht lässt sich so etwas bewirken: Das Projekt Familie 2.0 möchte etwas verändern. Auf der Seite gibt es einen offenen Brief an die Bundesregierung. Es ist nur ein kleiner Schritt. Ich weiß nicht, ob es ausreicht. Aber versuchen können wir es doch mal, oder?!
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Zur Lage der Kinderbetreuung in unserem Lande habe ich vor einem Jahr schon etwas geschrieben. Das ist immernoch aktuell, wie man exemplarisch hier lesen kann.
Ha! Und mein heutiges Bild passt auch super, fällt mir gerade auf: die Lage ist, wie einen Kinderwagen durch Tiefschnee zu schieben. Schwierig.