Draußen regnet es in Strömen. Es ist dunkel und grau. Die Heizung läuft das erste Mal nach dem Sommer und eine schöne Tasse Tee dampft. Das Sofa und weiche Decken laden zum Kuscheln ein. Eine gute Zeit zum Geschichtenerzählen.
Wie ich einmal zum Friseur gegangen bin...
Als ich 15 Jahre alt war, hatte ich eine gleichaltrige Nachbarin. Die war Modell beim Friseur. Modell sein hieß, die Auszubildenden in einem Friseurbetrieb probierten sich unter Aufsicht an echten Menschen aus. Für das Modell war die ganze Sache kostenlos. Alle paar Wochen hatte meine Nachbarin eine neue schicke Frisur und wechselnde Haarfarben. Das wollte ich auch machen!
Zu dem Zeitpunkt hatte ich lange glatte Haare, die mir bis über die Schultern reichten. Fein und dünn waren sie leider auch. Und wovon träumte ich? Von einer lockigen Löwenmähne. Dauerwellen waren Anfang der 90er Jahre total angesagt und fast jedes Mädchen in meiner Klasse hatte schon eine bekommen. So eine Dauerwelle war ziemlich teuer damals und meine Eltern sahen nicht ein, das auszugeben.
Also stellte ich mich im Friseurladen vor und wurde auch ausgewählt, Modell zu sein. Hurra! Zuallererst sollte ich eine Dauerwelle bekommen. Ich war im siebten Himmel! Korkenzieherlocken sollten es werden. Insgesamt 3 Stunden wurden meine Haare auf unzählige kleine Lockenwickler gewickelt, mit beißender Flüssigkeit behandelt, ausgewaschen und frisiert. Und tatsächlich: ich hatte richtig tolle Locken. Endlich! Ich fühlte mich herrlich! Ich hegte und pflegte meine Locken und kam vom Spiegel fast nicht mehr weg. Es war ein Traum!
Eine Woche später hatte ich den nächsten Termin beim Friseur. Was sollte gemacht werden? Die junge Auszubildende gab mir die Wahl zwischen Spitzen schneiden oder die gesamte Frisur durchstufen, wodurch die Locken noch besser zur Geltung kommen sollten. Ich hörte: "Locken" und "besser". Und dachte "schöner" und "toller". Abgemacht, durchstufen also.
Ich legte meine Brille ab. Mit -3 Dioptrien sieht man ohne Brille nicht besonders viel. Die Auszubildende ging ans Werk und schnitt und schnitt. Sie nahm Strähnen zwischen die Finger, zog sie in die Höhe und schnitt an den Spitzen etwas ab. Es dauerte und dauerte. Ich sah nicht, was sie machte. Irgendwann wurde es irgendwie luftig am Kopf. Hm. Ich ging davon aus, dass die Auszubildende schon wissen würde, was sie tut. Wenn sie nicht mehr weiterwüsste, würde sie doch sicher aufhören und jemanden fragen gehen, oder?! ODER?!
Sie holte tatsächlich irgendwann ihre Chefin. Die schnitt auch noch ein bisschen an meinen Haaren herum. Aber es war zu spät. Meine überschulterlange herrliche Lockenpracht hatte sich in eine echte Kurzhaarfrisur verwandelt. Die Chefin schlug mir vor, doch in der folgenden Woche wiederzukommen, dann wolle sie mir eine neue Dauerwelle machen. In kurze Haare? Ich kuckte durch einen Tränenschleier und hatte so einen dicken Kloß im Hals, dass ich nicht mehr sprechen konnte. Ich nickte nur und verließ fluchtartig den Friseursalon.
Draußen brach in in Tränen aus und schleppte mich irgendwie bis nach Hause. Ich wollte nieeee wieder auf die Straße gehen, geschweige denn zur Schule! Was für eine Schmach für mich als 15jährige! Die Mutter der Nachbarstochter machte aus meinen übrig gebliebenen Fusseln sowas wie eine Frisur. Ich hatte einen rasierten Nacken. Am nächsten Tag in der Schule wurde ich von jeder Person, die mir begegnete, gefragt, warum ich denn meine schönen Haare hab abschneiden lassen. Gnaaahhhhhh....
Jetzt könnt Ihr Euch sicher so ungefähr vorstellen, warum für mich ein Friseurbesuch aufregender ist als ein Besuch beim Zahnarzt. Denn der Zahnarzt hat mir noch nie etwas getan ;-)
