"Sehr geehrte Reisende! Die Wagen der 1. Klasse befinden sich heute am Abschnitt A und B, die Wagen der 2. Klasse in Abschnitt C bis F." Gerenne - denn jeder muß ans genau gegenüberliegende Ende des Bahnsteiges.
Weiter gehts: "Die Wagen mit den Nummern 23 bis 29 werden heute nicht mitgeführt. Reisende mit Platzreservierungen in diesen Wagen fahren mit diesem Zug mit." Blick auf die Platzreservierung - Wagen 23 Platz 17. Aha. Meine Platzreservierung war also umsonst. Das kann ja heiter werden! Der Zug fährt ein und das Hauen und Stechen um die Plätze beginnt.
Der Zug fährt los. "Grüß Gott im ICE..." Häh? Achso, der Zug fährt bis nach München. Diese Begrüßung hört man im Norden sonst eher selten bis gar nicht.
Der Zug hält mitten auf der Strecke. "Wegen eines Personenschadens fährt der Zug heute über Stendal. Die Fahrzeit verlängert sich um 30 Minuten." ...
Wo bin ich gestern gewesen? Genau - in Berlin!
Ein paar Tage nach unserem Umzug hat meine Freundin ihren Sohn bekommen. Den mußte ich mir unbedingt anschauen. Der Kleine ist schon ganz schön groß.
Ich habe nicht vielen Leuten von meiner Fahrt erzählt, denn meine Zeit ist begrenzt. Wen trifft man da? Wen nicht? Wieviele Personen kann ich an einem einzigen Tag treffen? Hoffentlich fühlt sich niemand übergangen.
Ich habe also 3 Freundinnen getroffen. Für jede von ihnen hatte ich genau 2 Stunden Zeit. Ich war also Kaffee trinken, habe eine Suppe bekommen, war spazieren. Alles ganz angenehm, ohne Streß. Es tat gut, bekannte Gesichter zu sehen.
Und wie habe ich mich gefühlt? Ich habe die ganze Zeit in mich hineingehorcht.
Vor genau 2 Monaten sind wir von Berlin nach Hamburg umgezogen. Wenn ich hier in Hamburg einkaufen bin, fühle ich mich manchmal wie im Urlaub. Alle reden anders. Wenn ich irgendwo hinfahren möchte, muß ich mir vorher im Internet die Verbindungen raussuchen.
Als ich in Berlin aus dem Zug stieg, wußte ich gleich, wo ich hinmuß. Ich bin ganz automatisch gelaufen, denn ich mußte nicht über meine Wegstrecke nachdenken. Das fand ich ganz angenehm.
Als ich mit der S-Bahn an meiner alten Straße vorbeigefahren bin, habe ich mich und das Mutzelchen gesehen, wie wir dort spazieren gingen. Es hat ganz kurz gepiekt, aber ich habe nach vorne gedacht und nicht zugelassen, daß ich mich jetzt in den Gedanken reinsteigere.
In nur zwei Monaten hat sich tatsächlich viel getan. Unseren Bäcker gibt es leider nicht mehr. Ein Kinderbuchladen und ein Kinderschuhladen haben eröffnet. Die Straße wird repariert. Das Einkaufszentrum feiert 10jähriges Jubiläum. Die Currywurstbude ist jetzt ein arabischer Imbiss. Ein Weinladen hat eröffnet. Am Bürgerpark steht eine alte Wasserpumpe, die dort vorher noch nicht stand.
Ja, ich habe mich wohl gefühlt. Aber am Abend habe ich mich auf zu Hause gefreut. Mein zu Hause. Auf den Ort, wo mein Mann und meine Kinder sind. Und dieser Ort ist in Hamburg.
Am Abend im Dunklen vor dem Berliner Hauptbahnhof fiel mir ein, daß ich gar keine Fotos gemacht hatte. Da sah ich in der Ferne die Lichter des Potsdamer Platzes leuchten und machte noch ein Beweisfoto. Die Lichtbänder sind Autos, die dort fuhren.
Als ich zum Himmel blickte, stand dort hell und fast voll der Mond und leuchtete mit seinem beruhigenden hellen Silberschein. Es war in dem Moment fast ganz still in der Mitte Berlins. Und ich dachte so bei mir, daß ja in Hamburg genau derselbe Mond am Himmel steht. Und daß Hamburg ja gar nicht so weit weg ist von Berlin.