Die Flucht im eisigen Winter 1945 über die zugefrorene Ostsee machte allem ein Ende. 16 Jahre alt war meine Oma, als sie mit ihrer Familie alles zurücklassen musste. Sie erlebten unvorstellbare Dinge. Irgendwie landeten sie in Mecklenburg. Meine Oma fand einen Mann, es gab nicht viele nach dem Krieg. Er war bei der Eisenbahn.
1953 wurde meine Mutter geboren. Sie führten ein einfaches Leben. Wismar wurde ihr zu Hause. Die Möbel, die zu Beginn der Ehe angeschafft wurden, hielten bis zum Schluss. Es wurde kein Schnickschnack gekauft. Wechselnde Dekorationen gab es nicht. Das Obst aus Wachs da in der Schale im Flur hat Jahrzehnte überdauert. Abdrücke von kleinen Zähnchen zeigen, dass mein Bruder und ich und sogar meine Kinder die Echtheit des Obstes überprüft haben.
Ich habe früher meine Ferien oft bei Oma verbracht. Im Sommer fuhren wir an die Ostsee. Oma kam nicht mit ins Wasser, sie hatte nie schwimmen gelernt. Ich blieb stundenlang drin und sie sorgte sich, dass ich mich erkälten könnte. Wir gingen in den Tierpark, liefen zum Hafen, gingen Eis essen im Lindengarten oder Enten füttern am Mühlenteich. Im Winter schauten wir Wintersport im Fernsehen an, spielten Mühle und Mensch-ärgere-dich-nicht und puzzelten. Es war so herrlich langsam, das Leben damals. Es gab selbstgemachtes Birnenkompott, eingelegten Kürbis, Plinsen, Zitronenkuchen und am Sonntag Rouladen. Beim Essen musste ordentlich zugelangt werden, ansonsten war Oma beleidigt. Vor dem Essen und am Abend beteten wir. Manchmal waren wir schon fast in der Stadt, als Oma nochmal zu Hause nachschauen musste, ob der Herd auch wirklich aus ist. Ich wartete dann solange auf sie. Beim Abwaschen füllte Oma dampfend heißes Wasser ins Spülbecken. Es machte ihr nichts aus. Sie war immer schlicht und adrett gekleidet. Bei der Arbeit im Haushalt trug sie eine Schürze. Nie habe ich sie in sogenannten Hausklamotten gesehen. Zu Ostern färbte sie 30 Eier und rieb sie mit einer Speckschwarte ein, damit sie schön glänzten.
Sie überstand Nierenkrebs. Sie pflegte ihre Mutter, meine Uroma, lange selbst, bis sie sie in ein Heim geben musste. Im Jahr 2000 starb ihre Mutter mit knapp 100 Jahren. Mein Opa starb kurze Zeit später sehr überraschend. Wir holten meine Oma zu uns nach Berlin. 2004 starb ihre Tochter, meine Mutter. Das war schwer für uns alle. Oma hatte ab jetzt immer das Gefühl, dass sie niemanden mehr hat. Ab und zu steckte Oma mir einen Geldschein zu. Nie ohne ihre kleine Rente zu erwähnen. Sie war sehr sparsam. Zum Geburtstag und zu Weihnachten bekam ich von ihr immer eine Packung Jakobs Krönung Kaffee geschenkt. Eingewickelt in Geschenkpapier. Oma gönnte sich selber nichts. Bekam sie etwas geschenkt, war ihr das fast unangenehm. Der Rollator, den der Arzt ihr verschrieben hatte, stand nur in der Ecke. "Damit gehen doch nur alte Leute!"
Im letzten Jahr kam der Krebs zurück. Sie galt als geheilt, bis sie eine Woche vor Weihnachten ins Krankenhaus kam. Es war zu spät. Am 2. Weihnachtsfeiertag fuhr ich nach Berlin, um mich von meiner Oma zu verabschieden. Mir war nie so sehr aufgefallen, wie hellblaue Augen sie doch hatte. Uns beiden war klar, daß wir uns das letzte Mal sehen. Sie war nochmal ganz wach und wir brauchten uns nur ansehen und haben uns verstanden. Ihre letzten Tage durfte sie glücklicherweise in einem Hospiz verbringen. Dafür bin ich sehr dankbar. Dort wurde ihr ihre Würde zurückgegeben. Silvester war ihr Zimmer mit Luftballons geschmückt. Am letzten Tag des Jahres, dem Geburtstag ihrer Mutter, kurz vor Mitternacht, wurde meine Oma von ihren Leiden erlöst. Vor ihrer Zimmertür brannte eine Kerze.
Ach mensch ... *schluck* ... du hast sie sehr lieb gehabt, gell? Ich drück dich ganz fest!
AntwortenLöschenGänsehaut ...
AntwortenLöschenDu hast Erinnerungen, behalte sie tief in dir, das ist gut!
Bewegte Grüße, Ulrike.
Vielen lieben Dank für deine so persönlichen Erinnerungen !!!
AntwortenLöschenDamit hast du viele Erinnerungen bei mir geweckt.
Herzliche Grüße,
Frau Mena.
Wunderschön geschrieben!
AntwortenLöschenHerzliche Grüße von einer ansonsten stillen Leserin,
donauKwelle
ach, da kommen mir die traenen, wie schoen geschrieben!
AntwortenLöschenDas ist so schön und traurig zugleich. Mir kamen beim Lesen die Tränen. Wie schön, dass Du Dich von ihr verabschieden konntest! Behalte all ihre Worte in Deinem Herzen.
AntwortenLöschenHerzliches Beileid. Danke, dass Du mit uns Deine sehr persönlichen Erinerugen geteilt hast. Wenn ich an meine Großeltern und meine Urgroßmutter zurückdenke, dann glaube ich, dass die Leute früher aus anderem Holz geschnitzt.
AntwortenLöschenAlles Gute im neuen Jahr!!!!
Welch schöne Worte, die werden deiner Oma bestimmt ein Lächen ins Gesicht zaubern.
AntwortenLöschenDas hast du schön geschrieben. Ich musste grad ein paar kleine Tränen weinen. Wie schön das du so schöne Erinnerungen an sie behalten kannst.
AntwortenLöschenLiebe Grüße!
Claudia
Wunderschön geschrieben.
AntwortenLöschenMein Beileid.
Das hast du so schön, so lebendig geschrieben. Sehr berührend. Schön, daß du sie so in deinem herzen trägst. Das liest man.
AntwortenLöschenDu hast so wunderschöne Erinnerungen an deine Oma und diese so schön und rührend für uns nieder geschrieben. Vielen Dank, dass du diese persönlichen Gedanken in so einer schwierigen Zeit mit uns teilst.
AntwortenLöschenMein aufrichtiges Mitgefühl für den Verlust deiner geliebten Oma.
Sabine
Einfach wunderschön geschrieben.....(muss grad tief durchatmen - da mir Tränen über die Wangen laufen). Wundervolle und so herzliche Erinnerungen hast du an Deine Oma(ich wünschte ich hätte auch je sowas schreiben können).
AntwortenLöschenVielen lieben Dank für die schönen Zeilen...dass du sie uns gezeigt und uns an den Erinnerungen hast teilhaben lassen. Man merkt, du wirst sie immer in Deinem Herzen tragen, auch wenn sie jetzt nicht mehr bei Dir ist.
ganz liebe Grüße
und fühl dich gedrückt,
Bettina
Das hast Du sooo schön geschrieben. Mir stehen die Tränen in den Augen. Ich habe meine Oma, die ich auch über alles geliebt habe, vor 9 Jahren verloren und jetzt gerade vor 11 Monaten meine Mutter im Alter von 56 Jahren. Ich finde es schön, wenn man so nett über die Verstorbenen erzählen/schreiben kann. Echt rührend ....
AntwortenLöschenJetzt sitze ich hier und heule.
AntwortenLöschenDu hattest schonmal in dieser sehr schönen, liebevollen Art über deine Oma geschrieben, was mich sehr berührt hat.
Sie wird für immer in deinem Herzen sein!
Fühl dich gedrückt.
Kathrin
Sehr schön geschrieben! Ich denke auch noch sehr oft an meine Oma, die im Dezember 2010 verstorben ist. Und das schöne ist, dass mir im letzten Jahr wirklich aufgefallen ist, dass so viele Dinge mir von ihr im Gedächtnis geblieben sind und auch immer bleiben werden:)
AntwortenLöschenAlles Liebe!
Ich habe Tränen in den Augen ... weil ich, wenn ich von Ihrer Oma lese, an meine Oma denken muss ... So vieles, was Sie mit so warmen Worten schildern, erinnert mich an meine Oma und an meine Kindheit.
AntwortenLöschenMein Aufrichtiges Beileid für Sie und ihre Familie in dieser schweren Zeit. Ich weiß, wie es sich anfühlt ... und auch deswegen die Tränen.
"Die Dahingegangen bleiben mit dem Wesentlichen, mit dem sie auf uns eingewirkt haben, mit uns lebendig, solange wir leben." - Hermann Hesse
Es grüßt Sie herzlichst
Anne
Auch ich habe weinen müssen, als ich Ihren Text über das Leben Ihrer Oma gelesen habe, spiegelt es doch die unsägliche Geschichte unseres Landes und seiner Menschen wieder. Und auch mir kommt vieles bekannt vor, denn auch meine Familie hat Ähnliches erlebt, und die Menschen haben diese Erfahrungen auf ganz ähnliche Weise verarbeitet und an ihre Nachkommen weitergegeben und uns auf ihre unnachahmliche Weise bereichert und geliebt. Dieses Gefühl wird Sie und vielleicht auch ihre Kinder - so wie mich, meine Tochter und vielleicht gar meine einjährige Enkelin - ein Leben lang begleiten. ( Das kann ich guten Gewissens behaupten, denn meine Oma ist seit fast 55 Jahren tot.)
AntwortenLöschenIch wünsche Ihnen und Ihrer Familie Zeit und Ruhe für Ihre Trauer ( und Verständnis Ihrer Umwelt dafür )
Ihre Astridka
(eine Kollegin aus Köln)
Welch schöner Nachruf!
AntwortenLöschenAlles Liebe,
Susanne
Wundervolle Erinnerungen, die auch bei mir Erinnerungen an meine Oma wach werden lassen. Sie wurde ein Jahr später geboren und hat somit die gleiche Zeit erlebt.
AntwortenLöschenEben musste ich dran denken, dass sie zum Beispiel mit über 70 zum ersten Mal eine Hose getragen hatte...
Ich wünsche euch viel Kraft in der kommenden Zeit.
Mit einem Kloß im Hals,
Caramellita
Schöne Erinnerungen. :)
AntwortenLöschenDas ist Liebe. Wunderschön, dass du es so erleben durftest. Das ist ein so gutes Gefühl, das die Zeiten überdauert - so eine Verbindung ist das größte Geschenk, das ein Mensch bekommen und selbst auch geben kann.
AntwortenLöschenUnd du hast es wundervoll geschrieben. Ich habe Tränen in den Augen und ich wünsche dir, dass du die kommende Zeit im Bewusstsein dieser Liebe gut überstehen wirst.
Und ich drück dich ganz lieb,
Cornelia
Gänsehaut. Tränen in den Augen. Beim Lesen denke ich an meine Kindheit. Ur-Ur-Oma. Ur-Oma. Oma. Mama. Ich. Wenige Jahre gab es 5 Generationen auf unserem Hof. Die Geschichten aus Ostpreußen, von der Flucht, habe ich als Kind "geliebt". Es war so spannend und doch unvorstellbar. Um mir wird klar, dass ich meine Oma ganz schnell besuchen muß, bevor es zu spät sein könnte.
AntwortenLöschenIch wünsche Dir Kraft für die nächste Zeit und danke Dir für die schönen Zeilen, weil sie in mir wieder alte Geschichten bewußt werden ließen.
Liebe Grüße,
Emely N
Wunderschöner Text, auch ich hatte Tränen in den Augen. Mit solch wundervollen Erinnerung übersteht man auch die schwierigste Zeit. Ich wünsche dir viel Kraft für die kommende Zeit.
AntwortenLöschenDas hast Du so schön beschrieben. Wunderschön. Danke fürs Teilen so persönlicher und menschlicher Zeilen.
AntwortenLöschenVielen Dank für diese lieben Worte!
AntwortenLöschenWas für liebevolle, dankbare und anerkennende Worte für deine Oma. Wunderschön geschrieben.
AntwortenLöschen............still..........eine feste Umarmung für dich !
AntwortenLöschenIch denke an dich, Claudi
Ich habe Tränen in den Augen. Das ist die wundervollste Omi-Liebeserklärung, die ich je gelesen habe.
AntwortenLöschenDrücker.
Grüße
Dani
Ich habe Tränen in den Augen, einen Kloß im Hals. Das ist wunderschön geschrieben.
AntwortenLöschenGrüße SusiP
Soo traurig und soo wunderschön!!
AntwortenLöschenLiebe Grüße!
Zirkuskind
Ich muss weinen.
AntwortenLöschenSchöner kann man keine Liebeserklärung machen, finde ich.
Alles Liebe für Dich,
Nicole
Traurig, aber wunderschön! Menschen sterben nie ganz, so lange die Erinnerung an sie noch da ist.
AntwortenLöschenViel Kraft für die nächste Zeit!
WOW ....
AntwortenLöschenMoni
So schön geschrieben! Viele Erinnerungen an die eigene Oma und Kindheit werden wach...mit nichts zu vergleichen und zu bezahlen.
AntwortenLöschenEs weiss ja keiner, der's nicht erlebt
wie's ist, wenn einer die Flügel hebt
und leise, leise sich auf die Reise - die letzte macht.
Es weiss ja keiner, dem's nicht geschah
wie's ist, wenn einer nun nicht mehr da.
Wenn leer die Stätte des, den man
hätte so gern noch nah.
Liebe Frau Frische Brise Ihnen und ihrer Familie viel Kraft für die kommende Zeit!
Ihre stille Leserin
Tief bewegt las ich diese Zeilen, so schön geschrieben, voller Liebe und der letzte Satz "Ich würde nie auf die Idee kommen, es anders zu machen." lies mich lächeln.
AntwortenLöschenSchön, dass sie Dich so geprägt hat.
Grüße Friederike
Ich habe aufmerksam gelesen. Mich an meine Omi erinnert. An Lockenwickler über Nacht, an ein immer perfekt hergerichtetes Bett mit mehreren Federbetten unter einer seidigen Tagesdecke. An stundenlanges Spielen in der Badewanne, an das Bauen von Buden im Wohnzimmer, an "Saure Eier". An unveränderte Möbel und Schürzen auch... :-) Ich möchte hier gar nicht den Platz wegnehmen, der in dieser Zeit DEINER Oma gebührt. Es war schön, diese Dinge zu erfahren und quasi zu sehen. Die Schlusssätze sind bittersüß. Und das ist gut. Zeit zum Trauern und Zeit, Erinnerungen zu bewahren. Rituale weiterzugeben. Ich finde das wunderschön.
AntwortenLöschenIch wünsche dir Trost für die kommende Zeit. Es ist gut, dass Birnenkompott und Plinsen bleiben. Vielleicht auch ein Stück Zitronenkuchen mit den Kindern zusammen, und ein paar Fotos...
Liebe Grüße
Geertje
soviel liebe spricht aus deinen worten...
AntwortenLöschenich weiss nichtmal annähernd soviel über MEINE oma. die, die mir am nächsten war, mir alles bedeutete, meinem sohn seinen namen gab.
ich umarme dich. halte deine erinnerungen fest - aber was red ich, das wirst du eh!
du hast viele erinnerungen an sie. das ist so wunderbar.
AntwortenLöschenund danke für den post, jetzt erinnere auch ich mich wieder an das eis im lindengarten (es gab nichts besseres).
Schöne Erinnerungen, schön geschrieben.
AntwortenLöschenLiebe Grüße
Hallo Frische Brise.
AntwortenLöschenIch finde es immer sehr traurig zu lesen, wenn jemandes Verwandter/Freund stirbt und schlucke dann immer schwer. Ich drücke sie herzlich und bewahren sie die schönen Erinnerungen im Herzen. Liebe Grüße sendet Liane W.
es ist schön, wenn man so tolle erinnerungen an seine omi hat...ich gottseidank auch!
AntwortenLöschendrücke dich und schicke dir viel kraft für die nächsten tage und die beerdigung!
wir haben meine 85jährige omi am 23.dezember mit lungenentzündung (diagnose dauerte 3 tage...vorher war alles ungewiss) ins spital...ich hatte grosse angst mich endgültig von ihr verabschieden zu müssen...momentag schaut alles nach besserung aus, es ist noch geduld angesagt.
vlg petra
Selten habe ich etwas derart Liebevolles gelesen!
AntwortenLöschenViel Kraft für die nächste Zeit
Andrea
Ich kann mich einfach nur meinen Vorschreiberinnen anschließen: ich habe selten so eine tolle Liebeserklärung an die verstorbene Oma gelesen. Bin tief im Innern berührt! Sehr!
AntwortenLöschenAuch ich vermisse meine Oma noch sehr - und das obwohl sie bereits 1994 von uns gegangen ist! Großeltern sind ein so großartiges Geschenk!
Mein herzliches Beileid!
Viele Grüße - 25km entfernt von Wismar!
Ebenfalls mit Tränen in den Augen, obwohl einen doch nur ein sehr dünnes virtuelles Band verbindet und man sich eigentlich nicht kennt. Etwas schreiben möchte ich trotzdem und wünsche in die Ferne, dass die Erinnerungen lange so intensiv bleiben und das Tuch des Vergessens nur ein ganz zartes wird ...
AntwortenLöschenIch lese das erst jetzt, tief berührt. Welch wertvolle Schätze sind diese Erinnerungen, in Liebe gehüllt wie der Kaffe ins Geschenkpapier....
AntwortenLöschenAlles Liebe und danke, dass du dies mit uns teilst.
Gabriela
Ein ganz liebvoller Text, der auch bei mir wunderschöne Erinnerungen an meine Oma weckt. Es ist so traurige jemanden zu verlieren und der Schmerz wird vielleicht kleiner, aber immer bleiben. Mein Trost: Unser Lieben sind nicht von uns gegangen, sie sind vor uns gegangen. Thanks for sharing!
AntwortenLöschenWelch wunderschöne Erinnerungen. Vielen Dank, dass Du sie mit uns geteilt und uns so tief berührt hast! Alles Liebe, Gabs
AntwortenLöschenIch muss mir ein paar Tränen aus den Augen wischen und an meine Oma denken, die nun schon 10 Jahre nicht mehr bei uns ist...doch manches fühlt sich so an, als sei es gestern gewesen...
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