Dienstag, 7. Juni 2016

Momente, die es nicht auf Fotos gibt

Mit dem Badetuch unter dem Arm trete ich nach dem Abendessen mit den Kindern vor die Tür der Jugendherberge. Wir tragen unsere Badesachen, ein paar leichte Kleidungsstücke haben wir drübergeworfen. Sandalen an und los! Es war so ein heißer Tag in Berlin, wir brauchen unbedingt eine Abkühlung. Das Mutzelchen und der kleine Bruder sind ganz aufgeregt: irgendwo hier soll der Geheimweg zum See sein!

Dort könnte es sein! Wir biegen ab und laufen auf sandigem Boden durch einen Kiefernwald. Kiefern! Die Waldbäume meiner Kindheit. Der Geruch ist so schön vertraut. Die tief stehende Sonne leuchtet zwischen den Baumstämmen hindurch. Kleine Insekten tanzen in Schwärmen in dem orangenen Licht über flirrenden dünnen Gräsern.

Wir laufen immer weiter, weichen Baumwurzeln aus und kicken trockene Kienäppel vor uns her. Der Weg ist etwas abschüssig. Wie weit ist es noch bis zum See? Den feinen Sand haben wir schon längst in unseren Sandalen. Die Vorfreude wird immer größer.

Da unten hinter den Bäumen glitzert etwas ganz hell! Kann das schon der See sein? Geräusche von juchzenden Kindern dringen an unser Ohr. Es schallt, wie es nur Töne von einer Seeoberfläche tun. Kommt, wir ziehen endlich unsere Schuhe aus!

Wir treten aus dem Wald ans Licht der Abendsonne. Jetzt riechen wir den See auch. Modrig grün und frisch lockend wartet er auf uns. Der schmale Strandabschnitt ist gut gefüllt mit Familien, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Es riecht nach Gegrilltem, kleine Rauchschwaden steigen senkrecht auf, aus mitgebrachten Lautsprechern tönt moderne chillige Musik.

Wir stehen eine Weile einfach nur da und lassen die Szene auf uns wirken. Über dem See steht uns direkt gegenüber die Abendsonne und blendet uns. Ein paar Segelboote fahren langsam, ihre Segel werden durch die Sonne von hinten beleuchtet. Ganz zarte Wellen schwappen an den Strand. Das Wasser ist braun-grün-silbern. Links neben uns ist ein kleiner Yachthafen, rechts ein kleiner Badesteg, am anderen Seeufer ist alles grün.

Rechts hinter der Biegung liegt das große Strandbad Wannsee, das bei der Hitze sicher mehr als gut gefüllt ist. Als Jugendliche habe ich dort im Sommer 1990, als ich kurz in Berlin-Wannsee wohnte, meine Schwimmstufen erneuert. Die Tauchaufgaben waren supereinfach, ich brauchte nur eine Handvoll Schlamm vom Grund des Sees hochholen.

Wir legen unsere Handtücher auf einen alten Baumstumpf und unsere Sachen und Schuhe gleich dazu. Dann gehen wir an den Saum des Sees und tasten uns vorsichtig mit den Füßen vor. Huh, ist das Wasser kalt! Hineinzurennen, wie früher, traue ich mich nicht mehr. Ich spreche den Kindern gut zu, damit sie weiter ins Wasser kommen. Ich zeige ihnen, wie man sich erst die Beine, dann die Arme und dann den Bauch mit Seewasser benetzt.

Und dann zähle ich "Eins, zwei, drei!" und tauche bis zum Hals ein. Kalt, kalt, kalt! Herrlich!!! Schnaufend hüpfe ich auf und ab. Die Kinder kreischen. Ich spritze sie zum Spaß ein bisschen nass. Nun wollen die beiden mir um die Wette vorführen, wie gut sie schon schwimmen können. Platschend kommen sie näher, ich gehe dabei ein kleines bisschen rückwärts. Dann hängen sie sich an meinen Hals und ich ziehe sie durchs Wasser.

Wir haben sehr viel Spaß miteinander. Zwischendurch schaue ich immer wieder Richtung Sonne und auf ihren tausendfach funkelnden Widerschein auf den Wellen. Es ist ein so großartiger und wunderbarer Moment. Die Luft ist ganz lau, wir sind in Berlin und können einfach so im See baden. Hach! Ich atme ganz tief ein und sauge jede Sekunde davon ganz tief in mein Herz hinein. Ich wünsche mir, dass sich die Kinder später auch so gut daran erinnern werden.

Dann sehe ich den kleinen Bruder bibbern. Wir gehen lieber aus dem Wasser raus. Die Kinder wollen nicht raus. Natürlich nicht. Es ist wie ein uraltes Spiel. "Bitte noch ein bisschen! Nur ganz kurz! Bitte, bitte, bitte!" Sie lassen sich Zeit, schwimmen schräg, fallen wieder zurück, nur um bloß nicht zu früh am Ufer zu sein. Das Mutzelchen rutscht auf dem Bauch bis in den Ufersand hinein. Ihr Bauch wird später ganz sandig sein.

Wir hängen uns nur unsere Badetücher um, knautschen unsere Kleidung zum Knäuel, schlappen mit den Schuhen und verlassen wehmütig den tollen Ort. Der kleine Bruder verliert unterwegs einen Socken. Das Mutzelchen singt ein selbstgedichtetes Lied über diesen schönen Sommerabend und hört bis in die Jugendherberge nicht mehr auf, zu singen.




10 Kommentare:

  1. Ich möchte jetzt gern sofort im See baden. <3

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  2. So schön geschrieben! Ich dachte einen Moment, ich wäre dabei gewesen!

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  3. Du hast das wunderbar beschrieben. Wir sind mit unseren Kindern früher auch oft in Jugendherbergen gewesen. Da sind wir nie enttäuscht worden. Dein Bericht über die Familienreise nach Berlin zeigt so wunderbar, dass das auch mit Kindern eine höchst erfreuliche Sache sein kann. Du hast auch die Stimmung so schön eingefangen.
    LG
    Magdalena

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  4. Ein schöner Post über euren Tag am See. Ich bin gerade zufällig bei dir vorbei"geschwommen" und musste schmunzeln: mein Name ist auch Carola und ich bin eine Hamburgerin in Berlin...
    Sachen gibt es.
    Schöne Grüße
    Carola

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  5. wer braucht schon ein Foto bei einer solchen Beschreibung, habe mich an frühere tage zurückversetzt gefühlt, danke dafür. LG Bettina

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