Donnerstag, 5. Juni 2014

Kein Drehbuch der Welt!

Ein ganz normaler Vorabend bei einer Familie irgendwo am Hamburger Stadtrand. Eine Etagenwohnung mit Terrasse. Viele helle Ikeamöbel. Wäschekorb in der Küche. Kinderbilder an der Wand. Spielzeug überall verteilt.



17:15 Uhr. Eine Frau kippt schwarze flüssige Stofffarbe in die Zulaufschublade der Waschmaschine. Es plempert. Hektisch sucht sie etwas, womit sie die Farbspritzer an Wand und Boden wegwischen kann. In dem Moment hört sie die Nachbarin an der Terrassentür. Die Tür ist offen! Ein Kind hat sie wohl offen gelassen. Na hoffentlich ist der 1,5 jährige Adventsjunge nicht rausgelaufen. Da ist doch kein Zaun.

Die Frau, Mutter des Kleinen, beeilt sich und läuft zur Terrasse. Alles ist gut. Der Kleine konnte noch rechtzeitig eingefangen werden. Sie spaziert mit der Nachbarin und dem Kleinen eine kurze Runde durchs hohe gänseblümchengesprenkelte Gras und schaut nach, was ihre anderen beiden Kinder machen. Sie buddeln in den frischen Maulwurfshügeln. Schwarzstaubig umhüllt strahlen sie ihre Mutter an.

17:30 Uhr. Sie geht mit dem Lockenköpfchen wieder rein. Das Telefon klingelt. Die Nachbarin fragt nach Knoblauch. Leider nicht vorrätig. Aber so bittet die Frau ihre Nachbarin, ihr die Kinder rüberzuschicken. Da ist schon ein Kind an der Terrassentür. Die sechsjährige Tochter ist schon da. Sie soll sich schonmal bereit für die Badewanne machen. Mit dem Jüngsten auf dem Arm steht die Frau an der Terrassentür und wartet auf den Bruder. Der kommt nach, hat aber noch sein Laufrad vergessen und geht es holen.

17:45 Uhr. Als der Sohn drinnen ist, darf er sich sich auch badewannenfertig machen. Das Telefon klingelt. Die Frau setzt den Adventsjungen ab und geht ans Telefon. Ihr Vater ist dran. Sie wechseln drei Sätze. Der Jüngste hängt an ihrem Hosenbein und quengelt. Sie gibt ihm ein Spielzeugauto. Die Tochter ruft irgendetwas vom Klo. Der Fünfjährige will der Mutter irgendetwas erzählen. Sie erlaubt ihm, dass er alleine das Badewannenwasser anmachen darf. Sie lauscht wieder ihrem Vater und trägt nebenbei seinen Urlaub in ihren Kalender ein. 

Das Wasser im Bad rauscht. Plötzlich Schreie aus dem Bad! Die Frau läuft ins Bad und sieht das Problem: der wasserverrückte Kleinste hat sich zu weit über den Badewannenrand gebeugt und ist hineingefallen. Fast! Seine Beine hängen in der Luft, die Nase schwebt kurz über der Wasseroberfläche und mit beiden Armen steht er bis zum Ellenbogen im Wasser und stützt sich ab. Die Mutter packt ihn mit einer Hand am Kragen und stellt ihn auf dem Boden ab. Er will gleich wieder zur Badewanne. 

Immernoch das Telefon in der Hand ruft sie hektisch hinein: "Ich kann jetzt nicht mehr telefonieren! Bis bald! Tschühüss!" Dann kümmert sie sich um den kleinen Bruchpiloten. Er will unbedingt in die Badewanne, wo sein Bruder schon sitzt. Sie befreit schnell den Kleinen von seinen nassen Sachen und setzt ihn dazu, wo er sofort mit seinen Händen mit aller Kraft auf das Wasser einhaut, so dass binnen Sekunden das halbe Bad nass ist. Die Tochter kommt und steigt auch mit ein. Alle drei Kinder lachen, kreischen und schreien. Es schallt im Bad. Die Mutter kneift vor Lärm die Augen zusammen und duckt sich. Ihre Klamotten sind durchnässt. 

18:00 Uhr. Der fünfzehnjährige Teenagersohn kommt aus seinem Zimmer. Dort hat er bis jetzt an seinem Computer gesessen. "Gibts Aambrot?" murmelt er. Er darf schonmal den Tisch decken. Im Bad weiterhin Chaos. Die Kinder kippen sich mit Plastikbechern gegenseitig Wasser über den Kopf. Die Mutter schnuppert. "Was stinkt hier so?!" Es folgen gegenseitige Schuldzuweisungen der beiden größeren Kinder in der Badewanne. Da fällt ein Blick der Mutter in den Wäschekorb. Mit spitzen Fingern hebt sie ein Wäschestück heraus. Es ist nicht mehr zu retten. Die Mutter will es nicht mehr retten. Sie trägt es am ausgestreckten Arm durch den Flur, um es zu entsorgen.

Just in diesem Moment betritt ihr Mann und Vater der Kinder die Wohnung. Zurück vom Arbeitstag im ruhigen Büro schlägt ihm der geballte Familientrubel entgegen. Und der Geruch des unrettbaren Wäschestücks, das jetzt direkt vor seiner Nase baumelt. Dieses landet in einer Plastiktüte verpackt im Müll. Der Vater zieht sich etwas Bequemes an, die Mutter ist wieder im Bad, wo sie den Jüngsten aus der Badewanne holt. Der will nicht und kreischt. Die beiden anderen Kinder bekommen jeweils einen Waschlappen und sollen sich waschen. Der Jüngste wird auf dem Wickeltisch abgetrocknet und angezogen. Die beiden Kinder in der Wanne aasen derweil mit dem Duschgel herum.

18:15 Uhr. Der Jüngste wird in seinen Hochstuhl am Tisch gesetzt und bekommt schonmal eine Banane in Scheiben serviert. Er mümmelt daran herum und und verteilt sie großflächig auf Tisch und Boden um sich herum. Der Teenie setzt sich dazu. Die Mutter geht ins Bad, zieht den Stöpsel und legt Handtücher bereit. Dann setzt sie sich zeitgleich mit ihrem Mann an den Esstisch. Gekreische aus dem Bad. Die Kinder sitzen in der leeren Badewanne und niemand will zuerst aussteigen. Die Mutter geht hin und macht die Ansage: "Macht euch fertig, wir essen jetzt." Zurück am Tisch, schmiert sie sich ein halbes Brot, da kreischt der Jüngste, weil er es haben will. Er bekommt etwas ab. 

Die Badewannenkinder kommen duftend in ihren Schlafanzügen an den Tisch. Sie kichern und singen. Der Teenie erzählt von seinen neuesten Zensuren und den Schulplänen der nächsten Zeit. Die Sommerferien stehen bevor, in der Schule passiert nicht mehr viel. Der Jüngste baut einen Turm aus Bananenscheibchen. Ein Nachbar klingelt und möchte ein Päckchen abholen. Die Kinder stapeln Brotscheiben, Wurst, Käse, Salatblätter und Ketchup zu Sandwiches. Der Mann erzählt von seinem Tag im Büro. Ein Becher mit Milch fällt um. Kakaopulver wird mit der Zunge vom Tisch aufgesammelt. Die Frau erzählt von ihrem Tag. Der Jüngste stellt seinen Trinklernbecher auf den Kopf, verursacht so eine Überschwemmung und patscht mit seinen Händen in die Pfütze. Der Fünfjährige erzählt von seinem Kindergartenausflug zur Polizeiwache. Der Teenie ist fertig und will los zum Sport. Der Kleinste schmeißt seinen Melaminteller auf den Boden. Es scheppert. Der Teenie ruft vom Klo, dass dort etwas nicht stimmt. Die Mutter steht auf und geht nachschauen. Jemand hat mit der Klobürste großflächig Toilette, Brille und Boden "geputzt". Alles schwimmt. Die Mutter putzt im knien das Klo und findet sich danach wieder am Tisch ein. Die Tür klappt. Der Teenie ist weg und hat vergessen, den Müll mitzunehmen. Das Abendbrot wird beendet, die drei Kleinen laufen ins Bad, Zähne putzen. Die Eltern räumen den Tisch ab und fegen. Das Telefon klingelt. Gekreische aus dem Bad. ...

18:45 Uhr. Die Eltern schauen sich an und grinsen.


Kein Drehbuch der Welt! Niemals! Viel zu irre! Glaubt kein Mensch! 

Es ist unser Alltag. Aber so was von!!! 


19 Kommentare:

  1. Hui, turbulent! Aber ich dachte, es kommt noch was Wildes mit der schwarzen Stofffarbe ... ;-)

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  2. Ich musste bei deinem Post an diesen Clip denken.....

    http://www.youtube.com/watch?v=21UMDBXODhE

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  3. Langeweile??? Was ist das? Du machst das toll!!! 99,9 Punkte und liebe Grüsse - Elke

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  4. Ja, ich hab auch noch auf die schlimme Waschmaschinen-Katastrophe gewartet :)
    Aber so wars besser :)
    Liebe Grüße
    Yvonne

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  5. So ähnlich auch hier, mit vorher 2 und fortan 3 Kindern :D

    Aber den Jüngsten, den hast Du Dir hier abgeschaut, oder? Eure Badewanne scheint nur 2 cm niedriger zu sein als unsere, bislang reichte es hier nur zum Abheben. Und auch sonst sind sie sich unheimlich ähnlich!

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  6. Liebe Carola,

    herrlich,einfach herrlich!
    Ich musste beim lesen gerade so lachen.Genau das ist der alltägliche Wahnsinn.Genau so hektisch und verrückt geht es hier auch sehr oft zu und ich sage zu meinem Mann dann auch immer,dass glaubt uns keiner :-)
    Du bist eine tolle Frau und Mutter,wie du das Alles managst ♡
    ...und ich liebe deinen tollen,ehrlichen,kreativen Blog ♡ ♡ ♡
    Jeden Tag ist es mein Ritual auf deinen Blog zu schauen.
    Ich drück dich lieb und wünsche euch ein herrliches Pfingstwochenende,
    deine treue Leserin Nicole.

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  7. Haha, das klingt so bekannt. Hier fischte gestern der Jüngste im Klo während sein großer Bruder sein großes Geschäft erledigte. Und heut morgen musste ich ein Stück Schokolade aus dem Schlüsselloch extrahieren. Ich weiss genau, welchen Alltag du meinst :)

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  8. und das jeden wundervollen Tag :)

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  9. "Die Eltern schauen sich an und grinsen." (so süß)
    Chaotisch, herzlich und wunderschön geschrieben<3
    Solche Drehbücher schreibt das Leben!

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  10. schöner Alltag! will man nicht tauschen.

    lg
    Andrea - stillend ;)

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  11. oh wie sehr ich mich wünschte auch einen alltag mit meinen kindern erleben zu dürfen....

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  12. Das ist doch bei uns zu hause gewesen,herrlich....
    Ich sitze auch gerade auf der Couch und grinse....
    LG Birgit

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  13. ...hätte nicht gesagt, dass ich das mal schreibe...: "Ich dachte, nur bei uns ist das so!" :-)

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  14. Super aufgeschrieben, genauso ist es bei uns auch. Komischerweise auch nur mit zwei Kindern ;) Und wie Du das erzählst, die Ruhe in Person, gelassen und toll. Darf ich mir bitte eine dicke Scheibe abschneiden? :)
    LG

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  15. Hallo,
    ich habe deine "Kurzgeschichte" gelesen und und musste sehr an unsere jüngste Tochter mit ihren 4 Kindern und Hund denken. Nur das Leben schreibt diese Geschichten und nur Mütter halten auch durch! Ich wünsche ein schönes -ruhige-Pfingsten! RIKA

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  16. G e n a u s o o o o !
    Herrlich! Hat mich an vergangene Zeiten erinnert (unsere 6 sind inzwischen 18-29 Jahre alt)
    Du machst das toll!
    Liebe Grüße, Ursula

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  17. Liebe Carola,
    Ich habe ja "nur" drei Mäuse, doch die haben es genauso in sich! Super beschrieben. Man denkt ja immer, das geht einem nur alleine so!
    Falls Du mal Lust und Zeit hast, schau Dir mal unser Erlebnis vom ersten Fußballspiel mit allen Kindern an:http://kinderwunsch-familie.blogspot.de/2014/06/letztes-testspiel-vor-der-wm.html
    Deine Meinung würde mich wirklich interessieren. Danke Dir l. G. Aus der alten Heimat

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  18. 18.45 - gute zeit! grund zum grinsen.

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  19. sehr schön geschrieben !!! lesenswert ... als wäre man als stilles Mäuschen dabei ... Liebe Grüße, Maikind

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